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d i e k o d i f i k at i o n u n d d i e j u r i s t e n 169 freiheit festgesetzt. Nach diesem Punkt muss ein gewisser Spielraum für die Rechtsentwicklung in anderen Rechtsquellen, wie Sitte, Praxis und Doktrin freigelassen werden. Dies bewirkt, dass die Einheit undVorhersehbarkeit des Rechts schlussendlich immer von der Fähigkeit des einzelnen Juristens abhängig ist, neue rechtliche Fragestellungen zu beantworten. Die Kodifikation ist ein extremer Ausdruck dafür, wie der Gesetzesgeber sich genötigt sieht, dieseVerantwortung zu übernehmen. Dem geschriebenen Recht und damit demWillen des Gesetzgebers wird eine absolute Sonderstellung imVerhältnis zu übrigen Rechtsquellen zuerkannt, unabhängig von deren früherem gegenseitigen Verhältnis. Diese Sonderstellung bedeutet eine künstliche Erstickung anderer Rechtsquellen im System. Savigny meint anscheinend im Gegenteil, dass die Natur des Rechtssystems ganz einfach eine gewisse Bewegungsfreiheit verlangt, auch wenn dies auf Kosten der absoluten (und vielleicht unerreichbaren) Rechtseinheit und Vorhersehbarkeit geschieht. Die Kodifikationsmethode ist ein Beispiel für unnötigen und risikoreichen rechtlichen Aktivismus. Letztlich folgt, dass jede legitime Rechtsbildung in einem strikten Abhängigkeitsverhältnis zur Handlungskraft des politischen Willens landet. Die natürliche Rechtsbildung des Zivilrechts wird gezwungen, andere Wege zu nehmen. Die Kodifikationsmethode riskiert, ein schärferes Spannungsverhältnis zwischen Gesetz und übrigen Rechtsquellen zu verursachen. Auch das kleinste Element von Unsicherheit und Spaltung im Rechtssystem, welches vielleicht gerade im Zivilrecht unvermeidbar ist, führt dazu, dass z.B. Praxis und Doktrin unerwartet wie ein Querschläger zurückkommen und eine größere Bedeutung gewinnen, als in einem unkodifizierten System. Dies bewirkt, dass der Gesetzgeber seinerseits gezwungen wird “zurückzuschlagen”. Zusammenfassend könnte die Kodifikationsmethode auf Sicht einen Kampf der Rechtsquellen auslösen.

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