PeETERJÄRVELAID der historischen Zeit gut zu meinemheutigen Vortrag palk, denn gibt es in diesem Saal einen Menschen, der nicht galubt, dal5 in den 90-er Jahren des 20. Jahrhunderts die historische Zeit fiir baltische Staaten im Vergleich zu den friiheren Zeiten mit einer anderen Geschwindigkeit zu fliel^en begann. Auf die Frage, was diese Anderungen wdrklich bedeuten und wie die konkrete Entwicklung in jedem baltischen Staat getrennt stattfinden wird, können wir Heute nur vorläufig antworten.^ Das in den Jahren 1990-1997 Geschehene können wir aber schon ohne Zweifel analysieren. Schon heute ist klar, dals die Entwicklung der wissenschaftlichen Rechtsgeschichte in drei baltischen Staaten in den 90-er Jahren nicht synchron, verlaufen ist. 294 1. Kultur der Unterbrechungen Obwohl die friihere Geschichte der baltischen Staaten verschieden ist, iiber etwas einheitlichere Entwicklung können wir in Bezug auf das 20. Jahrhundert sprechen, können wir hierbei die Kultur als von Anfang an auf demMotiv der Unterbrechung beruhend betrachten. Die erste positive Unterbrechung war subjektives Losreilsen vom baltischdeutschen und iiberhaupt deutschen Kulturzusammenhang, in Litauen — vom polnischen Kulturkontext, indent die Souveränität manifestiert wurde. Die erste negative Unterbrechung war die Verstärkung des historischen Mythos, die den Verlust der uralten Souveränität betonte. Alle weiteren Unterbrechungen sind in gröberemoder kleineremUmfang Variationen dieser zwei Ffauptunterbrechungen gewesen. Daher hat der Autor das Gefuhl, dals es sich iiberhaupt um eine die estnische, lettiche und litauische Kultur kennzeichnende Tendenz handelt. In den 90-er Jahren ist dieses Unterbrechungsmotiv in der näheren Geschichte der baltischen Staaten wieder sehr strak vertreten. Die positive Unterbrechung verkörpert sich in der Wiederherstellung der politischen Unabhängigkeit der baltischen Staaten in Zusammenhang mit dem LosreiEen von dem Friiheren, d.h. von der Sowjetunion. Als Beispiel dazu dienen die Souveränitetätserklärungen der baltischen Staaten; „Deklaration des Obersten Sowjets Estlands uber die Souveränit ät der Estnischen SSRvom16. November 1988“,'^ ' Wenn wir aus der These ausgehen, dals Europa vom 19. Jahrhundert gröl?stenteils erst im Zusammenhang mit dem Ausbruch des ersten Weltkriegs imJahre 1914 Abschied nahm, so ware vielleicht nicht ganz grundlos der Gedanke, dals vielleicht fur baltische Staaten das 20. Jh. z.B. mit der Herstellung der staatlichen Selbstädigkeit des Jahres 1918 begann. Aus dieser Logik ausgehend könnten wir denken, dal? dieses Jahrhundert schon imJahre 1990 oder 1991, d.b. mit Erreichen der Selbständigkeit, zu Ende ging? Auf diese Frage können objektiv natiirlich die Historiker der nächsten Generationen antworten. ■* Deutsche Ubersetzung in: Östeuropa, Jg. 39, 1989, S. 430; Meissner, Bons. Die Baltischen Nationen. Estland, Lettland, Litauen. Zweite, erweiterte Auflage. Köln: Markus \"erlag, 1991, S. 384— 385.
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