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Die rechtshistorische Forschung in Osterreich 235 Zahlreiche österreichische Juristen blicken auf Geburt und Tätigkeiten aufierhalb der Flabsburgermonarchie zuriick. Die erwähnten legistischen Arbeiten sind von solchen anderer Reichsterritorien beeinflulk, die juristischen Bibliotheken voll von Literatur auberösterreichischer Herkunft meist aus anderen Ländern des Römisch-deutschen Reiches. Die Entwicklung tritt mit der Ausbildung des modernen, länderiibergreifenden Staates imAbsolutismus in ein neues Stadiumein. Die Behorden- und Rechtsreformen verwandeln die Habsburgermonarchie aus einer lockeren monarchischen Union von Ständestaaten allmählich in einen zentralisierten Staat: die Union wird zumStaat, die Länder verlieren diesen Charakter. Dazu trägt wesentlich bei, dal? die Rechtsreformen eine Rechtsvereinheitlichung anstreben, und zwar durch den Erlal? von Kodifikationen. Bald nach 1800 ist das von den Gerichten anzuwendende Recht, das Justizrecht, durch mehrere Kodifikationen erfal?t wie etwa das Strafrecht durch das Strafgesetzbuch 1803, das Biirgerliche Recht durch das Allgemeine Burgerliche Gesetzbuch 1811. Zu einer Kodifikation des Handelsrecht kommt es, etwa imGegensatz zumGode commerce Frankreichs, nicht, eine geplante Kodifikation des Verwaltungsrechts in einem sogenannten Politischen Kodex unterbleibt. Die Rechtsordnung bestimmt sehr wesentlich die Trennung in Justizrecht einerseits sowie „Politische Gesetze“ andererseits, wobei das erste im Sinne des Naturrechts als unwandelbar angesehen und daher in Kodifikationen eingefangen wird, während das letztere die wandelbaren Materien wie etwa das Verwaltungsrecht umfal?t, die nicht als kodifizierbar gelten. Trotz der eigenen Kodifikationen bleibt Osterreich im engsten Austausch mit vor allem den deutschen Staaten. ABGB und ALR gelten als zwei Ausdriicke gemeinsamer Rechtskultur, es wird dieses als Ergänzung des ersteren empfohlen. Osterreichs Privatrechtswissenschaft nimmt, entgegen älterer Meinung, sehr wohl Anted vor allem an den Entwicklungen in anderen Staaten des Deutschen Bundes und leistet auch schon ab etwa 1840 Beiträge zur historisch-systematischen Rechtsbetrachtung der Historischen Rechtsschule. Neben diesem Wissenschaftsaustausch im Deutschen Bund bildet sich in den italienischen Provinzen Osterreichs durch die wissenschaftliche Behandlung der österreichischen Gesetze, etwa des ABGB, in Verbindung mit der dortigen, romanistischen Rechtskultur eine eigene österreichisch-italienischeJurisprudenz aus. Die durch die staatlichen Kodifikationen eingetretene „Verstaatlichung“ der Rechtsordnung mildert sich mit diesen Beziehungen beträchtlich — die Zusammengehörigkeit insbesondere des mitteleuropäischen Rechtskreises bleibt gewahrt. Wesentlichen Anteil daran haben auch Rechtsvereinheitlichungsbestrebungen im Deutschen Bund, die zu einem gemeinsamen Flandelsgesetzbuch sowie einer ebensolchen Wechselordnung der deutschen Staaten ftihren, auch zumEntwurf fiir ein gemeinsames Obligationenrecht, das allerdings zufolge des Endes des Deutschen Bundes nicht mehr realisiert wird.

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