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Die RECHTSHISTORISCHE FORSCHUNG IN OSTERREICH 229 Was den zeitlichen Rahmen betrifft, so ist bei den Rechtshistorikern schon seit längeremein „Verlust des Mittelalters“ festzustellen und nunmehr auch in auffallendem Mafie eine Konzentration auf jenen Zeitraum, dessen Rechtsquellen sich von den heutigen kaum unterscheiden. Insgesamt geht damit die Behandlung von rechtlichen Denkmustern, Institutionen und Einrichtungen verloren, die zu der heutigen Rechtsordnung in einem interessanten Kontrast stehen, von anderen Voraussetzungen herkommen und auch andere Ziele und Zwecke verfolgten/ Mit ursächlich fiir diese Entwicklung ist der Riickgang an Kenntnissen der lateinischen Sprache, die Scheu vor einem Einlesen in altertiimliches Deutsch wie auch der Umstand, da£ ein Arbeiten in Archiven mit alten Urkunden oder Aktenfaszikeln nicht attraktiv oder jedenfalls zu miihsamerscheint.^ Davon gibt es freilich riihmliche Ausnahmen, welche aber den generellen Trend bestätigen.^ Allerdings bestimmt diese Entwicklung möglicherweise doch auch einfache Neugier an der jiingsten Rechtsgeschichte in Wechselwirkung mit einem Desinteresse an älteren Zeiten. Allerdings macht sich, wenngleich vorerst kaum in einem echten wissenschaftlichen Niederschlag, eine Gegenbewegung bemerkbar, die freilich einem zeitbedingten Impuls folgt: Es ist dies die Betrachtung der Rechtsgeschichte unter den Aspekten einer gemeinsamen europäischen Staatenorganisation, nämlich der Europäischen Union. Gesamteuropäische Aspekte treten dadurch in den Vordergrund wie etwa in der Privatrechtsgeschichte die Frage nach einemgemeineuropäischen Privatrecht in der Vergangenheit,'° in der Verfassungsgeschichte eine Wiederbelebung des Interesses an der Struktur des Römisch-deutschen Reiches sowie auch an der des Deutschen ^ Vgl. dazu etwa das Programmdes ..Europäischen Forums junger Rechtshistorikerinnen und Rechtshistoriker", Graz 1997, bzw den eben erschienenen Tagungsband M. F. Polaschek — A. Ziegerhofer (Hrsg.), Recht ohne Grenzen — Grenzen des Rechts, Frankfurt/Main 1998. ** Z. B. Habilitation Wien 1973: H. Hofmeister, Die Grundsätze des Fiegenschaftserwerbes in der österreichischen Privatrechtsentwiclung seit dem 18. Jahrhundert, Wien 1977; Habilitation Wien 1997: I. Reiter, Ausgewiesen, abgeschoben. Rechtsgeschichte des Ausweisungsrechts vom ausgehenden 18. bis ins 20. Jahrhundert, ungedr. Habilitationsschrift Wien 1997; weiters etwa Wiener Dissertationen ohne Archivmaterial: M. Blaha, Die Ehrenstrafen imMittelalter unter besonderer Berucksichtigung der österreichischen Weistiimer, Wien 1994; M. Gasutt, Häusliches Dienstpersonal (insbesondere Dienstmädchen) imWien des 19. Jahrhunderts, Wien 1995; A. Feiss, Einschränkungen der Grundrechte, Wien 1997. Dissertanten weichen auch auf andere Themen aus, wie zB die Rechtstatsachenforschung: H. Rettig-Strauss, Rechtstatsachen des Liegenschaftsverkehrs insbesondere unter Ehegatten in den Katastralgemeinden Mistelbach, Schletz und Michelstetten von Anlegung des Grundbuches bis zur Umstellung auf automationsunterstiitzte Datenverarbeitung (1870-1995), Wien 1997; B. Eigner, Dissertation fiber aus dem Grundbuch erhobene Rechtstatsachen unter Berucksichtigung des Ehegiiterrechts, Wien 1997. ^ Z. B. Habilitation Wien 1995: Gh. Neschwara, Geschichte des österreichischen Notariats I. VomSpatmittelalter bis zumErlab der Notariatsordnung 1850, Wien 1996. Allerdings ablehnend: W. Brauneder, Europäisches Privatrecht: Historische Wirklichkeit oder zeitbedingter Wunsch an die Geschichte (Gentro di studi e ricerche di diritto comparato e straniero [Hg.], Saggi, Gonferenze e Seminari 23), Rom 1997. " W. Brauneder—F. Höbelt (Hrsg.), SacrumImperium. Das Reich und Österreich 1996—1806, Wien 1996; siehe auch oben FN4. 16

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