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European Legal History 171 vereinten Europa wirken zu könncn und etwas von der Gemeinsamkeit wieder herzustellen, die es vor dcm 19. Jahrhundcrt, demJahrhundert des Nationalismus, gegcbcn hattc. Das Zauberwort hiel^ „Ius Commune", also das alien gleiche und gleich verstandliche Rccht. Das waren die römischrechtlichen Fundamente, der Ausgangspunkt in Bologna, sowie die von Italien nach Frankreich, von Frankreich nach den Niederlanden und von da nach Deutschland wandcrnden „gemeineuropäische“ Rechtskultur'^, die - grosso modo - mit der Französischen Revolution oder mit dem Ubergang der letzten europäischen Länder zu Nationalkodifikationen (Deutschland 1896, Schweiz 1910) ihr Ende land. Natiirlich waren sich die Rcchtshistoriker auch damals längst einig, dal5 die gemeinsame europäische Rechtskultur nicht Einheit des praktizierten Rechts bedeutete. Jedes Land hatte sein nationales Recht, und jedes Land hat anders auf die vom 13. bis zum 16. Jahrhundert sich ausbreitende „Verwissenschaftlichung" des Rechts reagiert, die skandinavischen Länder anders als England, England anders als Schottland, und diese Länder wiederum anders als Mittelund Mittelosteuropa sowie die romanischen Länder — etwa das in droit écrit und droit coutumier gespaltene Frankreich, das flämisch- und französischsprachige Belgien, als Italien und Spanien. Uberall gab es deutliche Distanzen zwischen Rechtswissenschaft und Rechtspraxis, zwischen ius commune und ius patrium. Dennoch war es eine „Einheit“ der Rechtsbegriffe und der Sprache, eine Einheit der autoritativ geltenden Texte, des Corpus luris Civilis sowie des Corpus luris Canonici, das bekanntlich auch in protestantischen Ländern subsidiäre Geltung besalL An diese Einheit in den fiinfziger Jahren des 20. Jahrhunderts zu erinnern, war (auch) praktischc Wissenschaftspolitik: Die Rechtsgeschichte wollte konstruktiv mitarbeiten und das international Netzwerk wieder festigen. In diesem Klima wuchsen grol^e Pläne: Aulser einer Literaturgeschichte des römischen Rechts im Mittelalter (IRMAE) sollte im Frankfurter Institut das bereits erwähnte Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte entstehen. Die internationalen Gesellschaften der Rechts- und Verfassungsgeschichte, der politischen Ideengeschichte und Institutionengeschichte begannen mit ihren Tagungen. Das Interesse an Entstehung und Arbeitsweise der europäischen Gerichtshöfe fuhrte zu groBen Forschungsunternehmungen''*. Die vergleichende Städteforschung nahm einen groBen Aufschwung. Auch eine europäisch vergleichende Dogmengeschichte i-' Gcgcn diesc „story that can be read in every F.uropean language in the manuals of legal histor\’“ nunmehr D. Osier, The M\ th of European Legal Histoin’, in: Rechtshistorisches Journal, 16 (1997) 393-410 (394). Als Bd. 29 der Reihe „Quellen und Forschungen 7.ur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich" ist jiingst erschienen B. Dicstclkamp (F4g.), Oberste Gerichtsbarkeit und zentrale Gewalt imEuropa der Friihen Neuzeit, Weimar - Wien 1996.

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