Systematik im umbruch 77 chem die Entstehung des Rechts teils von einer Mannigfaltigkeit veränderlicher Lebensverhältnisse, teils von der einheitsschöpfenden Kraft der mensehliehen Vernunft geprägt ist. Die erstgenannte historische Seite wurde von Savigny immer wieder betont. Das Recht trat nur im historischen Kontext hervor. Es setzte eine menschliche Gemeinsehaft voraus, war als ein gewisser Aspekt der Rationalität einer Gesellschaft zu verstehen und demenstsprechend mit historisch bestimmten Verhältnissen verbunden. Diesemhistorischen Pol gegeniiber wirkte die Vernunft als eine einheitsschöpfende, geistige Kraft. Urspriinglich fand diese Einheitsschöpfung unmittelbar im Volksbewufitsein statt. Die Erzeugung von Recht „beruhte“, so Savigny, grundsätzlich — wie oben ausgefuhrt — auf der Tatsache, dal^ ein solcher Prozel^, dab eine solche Gemeinsehaft des Bewulkseins wirklich vorhanden sei.-'’^ In moderneren Gesellschaften ist aufgrund ihrer Komplexität diese Voraussetzung allein nicht mehr erfvillt und eine derartige unmittelbare Rechtserzeugung existiert nicht mehr. Savigny stellt schon zu seiner Zeit fest, dab, mangels gemeinsamen Bewulkseins, die Rechtserzeugung auch „endlich fast ganz verschwinden“ musse.56 Den veränderten Zuständen entsprechend hatten, so Savigny, sich indessen die Gesetzgebung und die Rechtswissenschaft als Organe des Volksrechts herausgebildet.-'’" Die Einheitsschöpfung war Aufgabe der Juristen - des Gesetzgebers und der Rechtswissenschaft — geworden und damit mittelbar auch die Rechtserzeugung. Diese Verschiebung der Rechtsbildung vomVolksbewubtsein zu einer Aufgabe der Juristen war nicht ohne Folgen. Das Recht fiihrte jetzt ein „zweifaches Leben“-^^, daB von emem „doppelten Lebensprincip“ geprägt war.-^^^ Seinen grundlegenden Charakter hatte es dadurch zwar nicht geändert: es lebte seinen Grundziigen nach immer noch imgemeinsamen VolksbewuBtsein fort. Jedoch war nunmehr der Juristenstand als »Repräsentant [...] des Ganzen“ Schauplatz und Ausiiber der „rechtserzeugende/n/ Thätigkeit des Volks“.^° In dieser Hinsicht erfiillten die Juristen eine „materielle“ Aufgabe, welche einem „politischen“ Element des Rechts entsprach.^' Durch die „formelle“ Seite der juristischen Wirksamkeit, die wissenschaftliche Bearbeitung des rechtlichen Stoffes, hatte das Recht jcdoch ein „technisches“ Element bekommen.^- Hiermit war „durch die dem Stoff gegebene wissenschaftliche Form, welche seine inwohnende Einheit zu enthiillen und zu vollenden [strebte], ein neues organisches Leben [entstanden], welches bildend auf den Stoff selbst zuriick [wirkte], A..1.0. A.a.O. A.a.O. Vgl. ders., VomBerut, (Fn. 26), S. 104. Savigny, Sv.stem (Fn. 36), S. 45. Savigny, Vom Berut (Fn. 26), S. 104. Savigny, System (Fn. 36), S. 45 f. Sayigny, System (Fn. 36), S. 46; ders. VomBerut (Fn. 26), S. 104. A.a.O.
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