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Reiner Schulze 212 dieser Entwicklung und nicht nach demSelbstverständnis des Faches in friiheren Entwicklungsphasen - sei es als »historische Rechtswissenschaft“, sei es als „rein historische" Disziplin — wird sich fur die Rechtshistoriker bemessen miissen, inwieweit sie ihr rechtsgeschichtliches Wissen mit ihren juristischen Arbeitsinteressen verbinden können. IV. Rechtsgeschichte, Rechtsvergleichung und Privatrechtswissenschaft (8) ImHinblick auf das Europäische Privatrecht ist unsere Zeit eher zu Rechtswissenschaft als zu Gesetzgebung berufen. Zweifellos kann und wird die Einzelgesetzgebung der Europäischen Union auf vielen Gebieten ihren Fortgång nehmen; und zu ihrer Vorbereitung und Begleitung sollte die Rechtswissenschaft ebenso beitragen wie etwa zur erwähnten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs fiber die allgemeinen Rechtsgrundsätze. Ob darfiber hinaus jedoch eine breit angelegte Kodifikation des Zivilrechts, ein Zivilgesetzbuch der Europäischen Union unter den gegenwärtigen Verhältnissen wiinschenswert und möglich wäre, ist eine ganz andere Frage. Zwar hat das Europaische Parlament 1989 und 1994 in zwei Entschliefiungen Vorbereitungsarbeiten zu einemZivilgesetzbuch der Union gefordert^'*. Das Modell der Zivilrechtskodifikation soil mithin von der nationalen auf die europäische Ebene iibertragen werden. Es erscheint indes höchst zweifelhaft, ob dem Europäischen Privatrecht unserer Zeit angemessen ist, was einst der Herausbildung des nationalen Privatrechts in vielen europäischen Ländern förderlich war^^ Problematisch sind nicht nur die offene Frage der Kompetenz der Gemeinschaftsorgane fiir eine derartig umfassende Gestaltung des Zivilrechts durch Rechtsverordnung oder Richtlinie, die wahrscheinlich weithin fehlende politische Akzeptanz (die gerade Voraussetzung fiir eine vergleichbare Symbolbedeutungffir den Integrationsprozel^ wäre, wie sie einige Kodifikationen fiir die nationale Einheit hatten) und die Gefahr, dafi ein Wettstreit zwischen den nationalen Rechtswissenschaften einsetzt, welches Gesetzbuch sich als Vorlage eignet (und dadurch weniger die Verständigung fiber das Gemeinsame gefördert, als nationale Befangenheit verfestigt wird). Fraglich ist vor allem, ob fiberhaupt ein Bedarf ffir eine derartig weitreichende uniforme Gestaltung des Privatrechts besteht. Und fraglich ist schliel^lich auch unter zwei Gesichtspunkten, welche Qualität sie derzeit haben könnte: Eine Zivilrechtskodifikation der Europäischen Union hätte - entsprechend den derzeitigen Gemeinschaftsaufgaben - eine einseitige Ausrichtung auf wirtschaftsbezogene Materien (ergänzt Ausfuhrlich Winfried Tilmann, Zweiter Kodifikationsbeschlufi des Europäischen Parlaments, ZEuP 1995, S. 534 ff. Ausfuhrlicher Reiner Schulze, Allgemeine Rechtsgrundsätze und europäisches Privatrecht, aaO. Fn. 4, S. 470 ff.

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