VOM BEITRAG DER RECHTSGESCHICHTE 211 sein. Diese Lösungen durfen freilich auch die nationalen Rechtserfahrungen und damit die moderne Rechtsentwicklung der letzten zwei Jahrhunderte nicht etwa negieren, sie als blofies „Geröll“22 betrachten, das die gemeinrechtliche Tradition verschiittet hat. Vielmehr gilt es, diese neueren Entwicklungen in die historische Betrachtung mit einzuschlieBen - die jeweiligen Fortgestaltungen älterer Gemeinsamkeiten, die Entwicklung der Unterschiede und ebenso die vielfältigen internationalen Bertihrungen und Anregungen auch in der Zeit des Nationalstaates-^^ urn das Gemeinsame der heutigen nationalen Rechte schärfer zu erkennen. (7) Der Rechtshistoriker sieht sich mithin auf dem Feld der Europäischen Rechtsgeschichte vor mehrere Herausforderungen gestellt: Insbesondere kann er zum einen das Recht als Element der europäischen Kulturentwicklung, als wesentlichen Faktor fur die geistige und soziale Entwicklung Europas seit dem Mittelalter behandeln. Von seinem spezifischen Gegenstand her leistet er damit einen Beitrag zur Forschung iiber die gemeinsamen Grundziige der europäischen (Kultur-) Geschichte. Des weiteren kann er an der Bearbeitung;;^- ristischer Fragen (wie der soeben genannten) mitwirken und insofern an einer Auseinandersetzung mit aktuellen juristischen Aufgaben teilnehmen - von der Begrtindung allgemeiner Rechtsgrundsätze in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs bis zur wissenschaftlichen Diskussion um Inhalte des Europäischen Privatrechts auch aulJerhalb der Regelungskompetenzen der Gemeinschaft. Beide Möglichkeiten rechtshistorischer Arbeit - die eher historisch-deskriptive und die eher juristisch-konstruktive - sind gleichermafien legitim. Keine kann vor demHintergrund der Entwicklung des Faches Ausschliefilichkeit fiir sich beanspruchen. Unter den Vorzeichen der historischen Rechtswissenschaft hat im 19. Jahrhundert die zweitgenannte, nach den Kodifikationen und dem Vordringen des Gesetzespositivismus in unserem Jahrhundert die erstgenannte in Deutschland vorgeherrscht. Ein erneuter Wandel der wissenschaftsgeschichtlichen Lage ist denkbar durch das Entstehen einer europäischen Privatrechtswissenschaft, die - anders als die nationalen Privatrechtswissenschaften der Nachkodifikationszeit - sich nicht in den Gleisen einer Kodifikation bewegt, sondern ihren Gegenstand weit stärker mit den eigenen Mitteln wissenschaftlicher Arbeit formen mufi. Nach den Bediirfnissen und Erfahrungen Problematisch daher Rcinhard Zimmermann, „Hcard melodies are sweet, but those unheard are sweeter Condicio tacita, implied condition und die Fortbildung des europäischen Vertragsrechts, AeP 193 (1993), S. 121 ft. (171). Vgl.: Reiner Schulze, V'om lus Commune bis zum Gemeinschaftsrecht - das Forschungsfeld der Europäischen Rechtsgeschichte, in; ders. (Fig.), Europäische Rechts- und Verfassungsgeschichte, Schriften zur Europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte, Band 3, 1991, S. 3 ff. (18 ff., insbes. 20); ders., Gemeineuropäisches Privatrecht und Rechtsgeschichte in: Peter-Christian Miiller-Graff (Hg.), Gemeinsames Privatrecht in der Europäischen Gemeinschaft, 1993, S. 71. ff. (83); ders., Allgemeine Rechtsgrundsätze und europäisches Privatrecht, aaO. Fn. 4, S. 466 f.
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