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ZUR METHODENLEHRE IM EUROPÄISCHEN PRIVATRECHT 201 3. Gemeinsame Ordnungsbedurfnisse im 16jahrhundert Ich möchte daher eine dritte Erklärung versuchen. Die wissenschaftlichen Ordnungsversuche des 16. Jahrhunderts beruhen auf einem offenbar gemeineuropäischen Ordnungsbediirfnis. Diese Erklärung klingt enttäuschcnd, vielleicht sogar tautologisch oder zirkulär. Aber sie hat den Vorzug, dal^ sie wenigstens die Richtung angibt, in der man Fragen sinnvoll stellen könnte. Dabei warne ich vor allemvor zwei Irrwegen. Erstens mufi man sich immer vor Augen halten, dab das Ordnungsbediirfnis des 16. Jahrhunderts kein nur juristisches war. Die ubliche Betrachtungsweise: man habe das chaotische corpus iuris und die Flut der juristischen Glossen und Kommentare im 16. Jahrhundert nicht mehr bewältigen können und daher neue Methoden erfunden, greift deshalb m.E. zu kurz. Das corpus iuris war schon im6. Jahrhundert unubersichtlich und schon in der Mitte des 15. Jahrhunderts gab es eine kaum iiberschaubare Menge von juristischer Literatur. Trotzdemverspiirte vor dem 16. Jh. noch niemand das Bediirfnis nach einer Methodenreform. Und schon gar nicht erklärt die Unordnung des corpus iuris und die Masse der Rechtsliteratur, warumsich auch in der Philosophie und in anderen Disziplinen gleichartige methodische Bestrebungen bemerkbar machen. Zweitens aber war das Ordnungsbediirfnis des 16. Jahrhunderts wohl nicht einmal ein spezifisch wissenschaftliches. Die Methodenbewegung ist zunächst einmal im Zusammenhang mit anderen Ordnungsbemtihungen und -leistungen des 16. Jahrhunderts zu sehen. Ich nenne nur einige: Mittelalterliche Handschriften sind in der Regel nicht paginiert. Auch Bucher sind zunächst oft nicht paginiert, haben nur unbeholfene und liickenhafte Bogenzählungen. Erst allmählich setzt sich im 16. Jahrhundert die Paginierung durch; eine bescheidene, aber doch wichtige Ordnungsleistung. - Zweitens: die Rechtsquellen selbst. In den gedruckten corpus-iuris-Ausgaben sind zunächst - innerhalb der Titel - weder die Leges noch die Paragraphen durchgezählt. Erstmals 1510-1514 gibt es eine Ausgabe mit durchgezählten Leges. Erst nach 1578 eine (Institutionen-!)Ausgabe mit durchgezählten Paragraphen-'’'*. Also auch diese, uns selbstverständlichen Ordnungsleistungen erbringt erst das 16. Jahrhundert. - Drittens: die juristischen Studienanweisungen. Sie empfehlen oft den Studenten, sich Listen mit möglichst vielen „loci“ anzulegen. Aber zunächst sehen sie, wie etwa de Gazalupis 1467 dafur noch gar keine Ordnungsmethoden vor55, dann raten um 1530/1540 Hegendorfinus und Frosch zur alphabet!- S. Ernst Spangenbcrg: Einlcitung in das Römisch-Justinianeischc Rechtsbuch odcr Corpus juris civilis Romani, Hannover 1817, S. 722 (durchgczählte Leges), 164, 833 (durchgezählte Paragrapen). Johannes Baptista de Gazalupis (Caceialupus): Tractatus de modo studendi in utroque iure (erstmals 1467), in: Clarissimorum et praestantissimorum iurisconsultorum ... Tractatus, Köln 1585, bes. S. 36 tf. (empfiehlt nur das Memorieren des gelernten Stoffs und keine besondere Methode fur die Ordnung der „loci“).

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