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ZUR METHODENLEHRE IM EUROPÄ1SCHEN PRIVATRECHT 191 trachtung gut bekannter Gegenstände Aufschluft liber die weniger bekannten zu gewinnen“ - „dies ist“, sagt Agricola, „das cinzige System, nach dem wir lernen!“. Daraus ergibt sich, dab zunächst eventuelle Fehlvorstellungen des Schulers ausgeräumt werden miissen. Bestehen solche Fehlvorstellungen nicht oder nicht mehr, dann gilt: Zunächst soil man „von gattungsbezogencn Aspekten, da sie ja die bekannteren sind“ ausgehen. „Sodann wird man die species zu durchlaufen haben usw. Also wiederum die uns schon bekannte dihairetische Methode. Mit noch viel gröBerer Breitenwirkung propagiert sie dann der Pariser Logiker Pierre de la Ramée (Petrus Raynus). Ramus erklärt in seiner „Dialectique“ von 1555, eine richtige Ordnung (oder „Methode“, der hier erstmals ein selbständiger Abschnitt in einer Logik gewidmet wird) sei nur die, in der „das Bekannteste an die erste Stelle gesetzt wird, das zweite an die zwcite, das dritte an die dritte und so immer weiter“^°. Aus diesem Grund ist auch fur ihn die dihairetische Aufgliederung des Zentralbegriffs einer Disziplin in Gattungen und Arten bzw. Teile die allein richtige Methode fiir alle Wissenschaften und lehrhaften Kiinste-'. Diese ramistische Doktrin setzte sich dann fur längerc Zeit durch; sic war allerdings niemals unangefochten-’. Damit haben wir, wie ich meine, die ersten Einsichten iiber die methodische Bewegung des 16.Jahrhunderts beisammen. Sie gibt der dihairctischen Methode den Vorzug, und zwar offenbar deswegen, weil sie die fablichstc und natiirlichste ist. Keineswegs war sie, das kann man nicht nachdrticklich genug betonen, die einzige, die in Betracht kam. Schon seit der Antike kannte man drci Methoden, die meistens nach der Einleitung zur „Ars parva“ des griechischrömischen Arztes und Wissenschaftstheoretikers Galenus zitiert werden, nämlich ncben der dihairctischen noch die analytische und die synthetische-^. Die cigentlich wisscnschaftliche, bcwcisende Methode unter diescn cfrcien ist die synthctischc. Sie entspricht in etwa eincmaxiomatisch-deduktiven VorgeR. Agricola (Fn. 18), S. 469-499. Pierre de la Rarncc: Dialectique (1555), hrsg. von M. Dassonville, Genf 1964, S. 144 (Original S. 119). Petrus Ramus: Dialecticae Institutiones, Paris 1543, tol. 28 r/v unter Bezugnahnie auf Platons „Philebos“ und Ciceros „l)e oratore". In der „Dialectique“ (Pn. 20) wird dieses Vertaliren dann als „Methode der Natur“ bezeiclinet (S. 145, Original S. 120 f.). Zur Kritik an Ramus vgl. W. Ong (Fn. 6), S. 245 ff., N. Gilbert (Fn. 6), S. 145 ff. Claudius Galenus: Opera Omnia, ed. Carolus Cottlob Kiihn, tom. 1, Leipzig 1821 (=Medicorum Craecorum opera, quae exstant, ed. C. C. Kiihn, vol. 1, Leipzig 1821), S. 305): „Tres sunt omnes doctrinae, quae ordine comparantur. Prima quidemex finis notione, quae per resolutionem fit; secunda ex compositione corum, quae per resolutionem fuerunt inventa; tertia ex definitionis dissolutionc, quam nunc instituimus". Diese Dreiteilung war auch den Juristen des 16. Jahrhunderts gelaufig, wie sich bei Corasius und Hotman zcigt (o. Fn. 16, 17) und naturlich auch den Philosophen, vgl. ctwa Nicolaus Hemmingius: De mcthodis libri duo, Wittenberg 1559, fol. B 5v, B 7v; Johann Schiller: Praecepta dialectices, W'ittenberg 1563, fol. H 2v7 H 3 r; Andreas Planer: Quaestiones Dialecticae, 1. Teil, Tubingen 1584, S. 79-82. Die drci letzten Autoren folgen nicht der „monistischen“ Lehre des Ramus, Hcmmingsen kritisicrt sic sogar ausdriicklich (fol. C 5v).

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