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Jan Schröder sprudenz fort und scheint mir im Zusammenhang unseres Generalthemas nicht uberragend wichtig zu sein. Fiir um so bedeutsamer hake ich die systematische Tendenz, und nur fiber sie möchte ich sprechen. Worumgeht es dabei? Es geht umeine grundsätzliche Neuorientierung gegenfiber der mittelalterlichen Rechtswissenschaft. Wie Sie wissen, kannte die mittelalterliche Jurisprudenz kein System im Sinne einer von den Quellen abweichenden Ordnung. Die Digesten des corpus iuris civilis etwa, die wichtigste Quelle des lus commune, wurden in der quellenmäfkgen Ordnung behandelt. D.h. man behielt grundsätzlich bei der Gesamtdarstellung des Rechts der Digesten die quellenmäfiige Reihenfolge der 50 Bucher, der Titel, der einzelnen Fragmente (leges) und der Paragraphen innerhalb der Fragmente bei. Eine Ausnahme machte (ich vereinfache etwas) nur die sog. Summen- oder Paratitla-Literatur, die den Inhalt der Titel frei zusammenfalke, „summierte Aber auch sie änderte nichts an der quellenmäfiigen Reihenfolge der Bucher und Titel. Das ganz Neue und Andersartige der Rechtsliteratur des 16. Jahrhunderts liegt nun darin, dafi sie mit dieser Tradition bricht. Es finden sich nicht nur in grölJerer Zahl als imMittelalter Summen- und Paratitla-Versuche, sondern es finden sich vor allemauch Versuche, die Bucher- und Titelfolge der Digesten ganz zu verlassen. Erstmals in der Geschichte der europäischen Rechtswissenschaft seit ihrer Wiederbegriindung in Bologna versucht man also, den Rechtsstoff in einer freien, selbstgewählten Ordnung darzustellen. In Deutschland geschieht das etwa durch Derrer, Lagus, Vigelius, Freigius und Althusius^. In Frankreich durch Connanus und Donellus'*, und hier entstehen auch fiber den Digestenstoff hinausgehende Universalrechtssysteme durch Bodin und Pierre Grégoire^. Und zugleich, und erst jetzt - das erscheint mir sehr wichtig - entwickelt sich in der Philosophie eine Lehre von der sachge- - S. dazu Peter Weimar. Die legistische Literatur der Glossatorenzeu, in Helmut Going (Hrsg.): Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, 1. Bd., Miinchen 1973, S. 129 tf. (188 ff.). ^ Sebastian Derrer: lurisprudentiae liber primus, instar disciplinae institutus et axiomatibus magna ex parte conscriptus, Lyon 1540; Juris utriusque methodica tractatio ..., ex ore doctissimi viri Dn. Conradi Lagi lureconsulti annotata, atque in gratiam et singulorumutilitatem studiosorum, nunc recens excusa et aedita, Frankfurt am Main 1543; Nicolaus Vigelius: luris civilis absolutissima methodus ..., Basel 1561; Johannes Thomas Freigius: Partitiones iuris utriusque ..., Basel 1571; Johannes Althusius: Jurisprudentiae Romanae libri duo ..., Basel 1586, imFolgenden ziticrt nach der spateren Neubearbeitung unter dem Titel; Dicaeologicae libri tres ... (1617), 2. Ausg. Frankfurt 1649. Der otters als erster Systematiker bezeichnete Johann Appell legt in seiner „Methodica dialectices ratio ad iurisprudentiam,tccommodata“ (erstmals 1533?, hier zitiert nach Claudius Cantiuncula : Topica legalia, Basel 1545, S. 108 ff.) S. 162 kein ausgearbeitetes System, sondern nur eine Skizze von einer Seite vor. ■* Franciscus Connanus: Commentariorum iuris civilis libri X ... per D. Franciscum Hotomanumexornati, Basel 1562 (erstmals 1553); Hugo Donellus: Commentarii de iure civili (1589 ff.), im folgenden zitiert nach der Ausgabe vonJohann Ghristoph König, Niirnberg 1801 ff. ^ Johannes Bodinus: luris universi distributio, Paris 1578 (mir nicht zugänglich); Petrus Gregorius Tholosanus: Syntagma iuris universi, atque legumpene omnium, et rerumpublicarumpraecipuarum, in tres partes digestum, 3.(?) Ausgabe, Frankfurt am Main 1591. 186

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