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Das europarecht 183 konservativ beurteilt wird, mub allerdings erkannt werden. Vielleicht sind solche Etiketten der Preis eines juristisch-methodologischenRealismus. Wer aber als Wissenschaftler in der europarechtlichen Avant-garde mitspielen möchte, der mul^ einen noch viel höheren Preis bezahlen. Auf einem Gebiet kann jedoch der Rechtswissenschaftler zumVorgang der europäischen Rechtsannäherung beitragen, ohne dadurch seine Wissenschaftlichkeit strapazieren zu milssen. Die Rechtsquellenlehre stellt, nach Savignys Meinung, eine Art juristischer Arbeitsteilung dar. Das Vorhandensein verschiedener Rechtsquellen ist nicht willktirlich, sondern hat einen sachlichen Grund. Zu den Aufgaben des Gesetzgebers gehört vor allem, die - im weiten Sinne des Wortes - gesellschaftlichen Ansprtiche an das Recht auszudriicken. Die materielle Rechtsbildung hat somit ihren Sch’werpunkt in der Gesetzgebung. ImGegensatz zu dieser, sozusagen unmittelbaren, Normsetzung ist der Zweck der rechtswissenschaftlichen Dogmatik mit der juristischen Systematik verbunden. Durch die rechtswissenschaftliche Arbeit werden Gesetzgeber undJuristen mit einer Art systematischer Karte des Rechts versehen; unter den dargestellten systemimmanenten Lösungen können sie diejenige wählen, die dem erstrebten Ziel am besten entspricht.^^ Ex post facto miissen die Resultate der Gesetzgebung und Praxis sodann in das System hineingearbeitet werden - und auch diese Aufgabe gehört zum rechtswissenschaftlichen Bereich. Die Aufgabe der Rechtswissenschaft wird durch diese Aufteilung weitgehend mit der Systematisierung des Rechts gleichgestcllt. Der Rechtswissenschaftler mub in seiner Arbeit im Stande sein, zwei, jedenfalls scheinbar entgegengesetzte, Kräfte in der Rechtsbildung in Verbindung zu setzen; sein Wunsch, die wissenschaftliche Einheit des Rechtssystems aufrechtzuhalten^'*, mub realisiert werden, wobei gleichzeitig die Voraussetzungen dieser Systematik unaufhörlich durch Gesetzgebung und Rechtsanwendung verändert werden. Der Rechtswissenschaftler ist also dazu gezwungen, eine Systematik zu erarbeiten, die sowohl geniigend dynamisch ist, umdie Veränderlichkeit des Rechts zu vertragen, als auch flexibel genug, umdie Ausnahmen unter die systematische Einheit einzubringen. Die Aufgabe, die organische Systematik auf das Europarecht zu iibertragen, scheint mir eine wiirdige Aufgabe der juristischen Doktrin zu sein. 2^ Sei es rechtspolitische Zwecke oder der Wunsch, ein angemessenes Urteil in dem einzelnen Fall zu erreichen. Widerspruchslosigkeit, Liickenlosigkeit, Kontinuitat - kurz, Einheitlichkeit in Zeit und Raum. Das ist ubrigens dersclbe Wunsch, der die Naturrechtslehrer getrieben hat, die chaotische Vielfalt des geltenden Rechts zu verlassen, um an deren Stellc eine so einheitliche Rechtsordnung zu konstruieren, daft es ihr völlig an jeder Raum- oder Zeitbestimmung fehlt.

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