Marie Sandström 182 annimmt-', steuert das, was als juristisch möglich angesehen werden kann. Die Ubereinstimmung zwischen dem Recht und den faktischen Verhältnissen mufi, und wird, auf die eine oder die andere Weise aufrechtgehalten. Das liegt implizit in der praktischen Aufgabe des Rechts — und keine politische Vision kann diese Tatsache verändern. Das Streben nach Rechtseinheit mufi deshalb - auch ungeachtet, wie dieses Ziel erreicht werden soli - ein langsamer und miihsamer Vorgang der Wechselwirkung zwischen Recht und Gesellschaft ausmachen. Die Juristen suchen folglich, nach dieser Ansicht, vergebens nach einer nichtvorhandenen Rechtseinheit - statt dessen sollte die Auseinandersetzung eine Inventur der Mittel einer allmahlichen Rechtsannäherung beabsichtigen. Es ist höchste Zeit, dafi die Rechtswissenschaftler sich besinnen. Rechtseinheit ist ein Ausdruck politischer Wunschvorstellungen und nicht rechtswissenschaftlicher Realitäten. Von einem wissenschaftlichen Ståndpunkt aus scheint europäische Rechtseinheit nicht wiinschenswerter als ihr Gegensatz. Die Verantwortung fiir die Vereinheitlichung mul5 daher ohne weiteres der Gesetzgeber tragen. Eine europarechtliche Kodifikation miifite also einen realen politischen Konsens widerspiegeln, nicht eine fiktive wissenschaftliche Autoriät. Werden die Legitimitatsanspruche der verschiedenen Rechtsquellen vermengt, dann entsteht aus dieser politischen Vision bald ein juristischer Alptraum. Ill Welche Haltung soli nun der Rechtswissenschaftler einnehmen? Meine Antwort mag niederschlagend klingen. Die Rechtswissenschaft sollte sich diesem Vorgang gegeniiber eher kritisch und zurlickhaltend verhalten, denn das gesellschaftliche Vertrauen in die Wissenschaft setzt voraus, daf5 die Wissenschaftler vor den Grenzen der Wissenschaftlichkeit Respekt haben. Unsere erste Pflicht gilt der Wissenschaft. Daraus folgt, dal^ wir stets die Grenzen unserer Argumentationskraft feststellen miissen. Rechtswissenschaftliche Argumente sollten nicht fur nichtwissenschaftlicheZwecke beniitzt werden. Unsere Kritik gilt natiirlich nicht nur den Begrenzungen unserer eigenen Wirksamkeit; die Konsequenzen einer Kompetenzverschiebung in der Rechtsquellenlehre durch eine Kodifikation mul^ ja auch Gegenstand dieser Uberpriifung sein. Neben dieser wissenschaftlichen Kritik besteht auch die Verpflichtung, die Konsequenzen einer Kodifikation fur Rechtssicherheit, die Effektivität der Rechtsanwendung und die juristische Systematik hervorzuheben Savignys Kodifikationskritik ist in dieser Hinsicht musterhaft. Das Risiko, dal? der Rechtswissenschaftler, wie iibrigens Savigny--, als passiv oder sogar 2' Die sog. historische Gebundenheit des Rechts. -- Siehe vor allem Wilhelm, Walther, Zur juristischen Mcthodenlehre im 19. Jahrhundert. Die Hcrkiitift der Methode Paul Labands aus der Privatrechtsu-issenschaft, Frankfurt-am-Main 1959, S. 36 ff. Vgl. Riickert, Joachim, Idealismus. Jurisprudenz und Politik bei Friedrich Carl von Savigny, Mtinchen 1984, bes. S. 406 ff.
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