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Claes Peterson 136 uns kein absolutes Recht. Der Traumdes Naturrechts ist ausgeträumt“.^' Unzweifelhaft diirfte unsere Zeit in noch höheremMafie als Windscheids Gegenwart den Naturrechtsgedanken als metaphysische Zauberkunst abtun. Trotz dieser selbstverständlichen Haltung hat der Gedanken an eine iiber demin Zeit und Raum begrenzten positiven Recht stehende, absolute Rechtsschicht eine erstaunliche Lebenskraft bewiesen. Heute werden in der Debatte iiber Verwirklichung von Rechtseinheit in Europa Gedankengänge dargelegt, die auffallende Ahnlichkeiten mit der naturrechtlichen Argumentation aufweisen. Unter Hinweis auf die alte lus commune-Tradition wird behauptet, dal? in der europäischen Kultursphäre eine allgemeine Natur des Rechts existiere, die als Grund und Ausgangspunkt dieser erstrebten Rechtseinhet dienen könne und solle. DieWurzeln dieses neuen „Naturrechts“ sind natiirlich römischrechtlich. Die Vertreter dieser Lehre verstehen es als eine exklusive Aufgabe der Rechtswissenschaft, dieses gemeine Recht wiederherzustellen und Einheit in das Recht zu bringen. Nicht zuletzt die Rechtshistoriker wittern jetzt Morgenluft eben wegen ihrer eingehenden Kenntnis dieser langen Tradition in der Geschichte des „europäischen“ Rechts. Allerdings kommt man nicht umhin festzustellen, dal? insoweit unrealistische Wunschvc^rstellungen zumTragen kommen. Dieselbe Kritik, die oben gegen die Naturrechtslehre gerichtet wurde, greift auch hier. Die theoretischen Aporien könnten vermieden werden, wenn die kiinftige Arbeit an einer Rechtseinheit fiir Europa (sollte das iiberhaupt ein wiinschenswertes und realistisches Ziel sein) ihren Ausgangspunkt in den positiven Rechtsordnungen nimmt, was dann seinerseits bedeutet, dal? die Rechtswissenschaft nicht die begehrte Exklusivität behaupten kann. Sie mul? sich in eine erheblich bescheidenere Rolle fiigen, nämlich imZusammenwirken mit den iibrigen Rechtsquellen - vor allem der Gesetzgebung und der Rechtsprechung - fiir eine Rechtseinheit zu wirken, die vom veränderlichen Charakter des positiven Rechts ausgeht. ” Windscheid, B., Recht und Rechtwissenschaft. Greifswalder Universitäts-Festrede, 1854, in Gesammelte Rcdcn und Abhandlungen, Leipzig 1904, S. 9. Aut S. 15 f. setzt Windscheid fort: „Das Naturrecht konnte den römischen Rechte urn so weniger Eintrag tun, als es dessen Schatze pliinderte, urn seine leeren Tempel zu fiillen". Vgl. oben S. 11.

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