ZwiSCHEN STATISCHEN RECHTSKATEGORIEN Die reine Rechtslehre oder die Naturrechtslehre, d. h. die wissenschaftliche Seitc des Rechtstudiums, ist ihrem Charakter nach philosophisch, weil sie nur die allgemeinen von Zeit und Raumunberiihrten Prinzipien enthält. Das Recht wird hier in schöner, harmonischer Apriorität, in perfekter Einheit dargestellt, was bedeutet, dal^ nichts hinzukommen kann oder darf. Die Darstellung des positiven Rechts mul^ dagegen empirisch werden, weil das Objekt ihres Studiums das historisch veränderliche Recht ist, das Ziige aufweist, die iiberhaupt nicht einheitlich beschrieben werden können. Wir können nochmals Fries als Zeuge nennen. Er beschreibt auf folgende Weise das Verhältnis zwischen demphilosophischen und demhistorischen Argument: Die reine Rechtswissenschaft ist ganz philosophisch und ihr Gesichtspunkt idealisch, sie faht Regeln auf, denen nur gleich zu kommen das höchste Ziel irgend einer positiven Gesetzgebung sein wiirde. Dagegen ist das Wesen jeder positiven Rechtslehre ganz empirisch, es geht nur auf schon vorhandene Geschichte und Erfahrung aus. Reine Rechtslehre mulJ studiert und gedacht werden, so viel sie auch zu denken gibt, so wird ein nicht ganz richtig geleitetes freies Selbstdenken ihr eher schädlich als niitzlich sein.^ 125 Aus dieser scharfen Grenzziehung folgt zunächst, daR es unerlaubt ist die zwei verschiedenen juristischen Erkenntnisarten zu vermischen. Sobald das wissenschaftliche Argument mit dempraktischen Argument, d. h. dempositiven Recht, gemischt wird, wird die Grenze der philosophischen Erkenntnis iiberschritten. Das Ergebnis entspricht dann nicht mehr den Forderungen der Wissenschaft. Fries spricht deshalb die Warnung aus: Wer in der wirklichen Anwendung des positiven Recht seine philosophischen Gedanken iiber das Recht einmengcn wollte, der wiirde sich damit wenig Dank erwerben und sein Geschäft schlecht verstehenZ Es ist nicht schwierig zu verstehen, warumFries und alle anderen Juristen, die der naturrechtlichen Tradition verbunden waren, vor demGedanken einer Vermischung der apriorischen und der aposteriorischen Seiten des Rechts zuriickschreckten. Solches Ffandeln hätte nämlich gegen die Grundsätze der wissenschaftliche Analyse verstoRen, weil es einen VerstoR gegen das Gesetz des Gegensatzes bedeutet hätte. Aus dem Blickwinkel der Wissenschaft wäre das unakzeptabel und unmöglich gewesen. Das, was nach dieser wissenschaftlichen Tradition die privilegierte Stellung der Wissenschaft legitimieren sollte, nämlich die Gesetze der Logik, könnten natiirlich nicht imgleichen Atemzug aufgegeben werden, ohne daR das Ansehen der ganzen Tätigkeit in Frage gestellt wtirde. Fries, a.A., loc. cit. ^ Fries, a.A., loc. cit. Vgl. Nettelbladt, D., Von demrechten Gebrauch der Wolffischen PhiloSophie in der Tlieorie der positiven Rechtsgelahrtheit, Flalle 1750, S. 123-124.
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