Theorie und praxis 105 2. Geschichte undJurisprudenz Gcschichte ist bis in die Gegenwart immer instrumentcll eingcsetzt worden. Bis in das 19. Jahrhundert war ihre Erforschung nicht Selbstzweck, sondern fand statt - zur Belehrung {historia docet), z.B. kiinftiger Herrscher (in Fiirstenspiegeln und Chroniken), - zum Nutzen der Menschheit {prodesse et delectare), also in der Absicht, Schaden zu verhiiten, den rechten Weg des Fortschritts aufzuzeigen (so dutchweg die Geschichtswissenschaft zur Zeit der Aufklärung), -zum Nutzen einer Dynastie, uni ihr besonderes Alter nachzuweisen, um ihren Vorrang vor anderen zu erklären, um Rechtsanspriiche besser zu begrtinden usw. (so die ganz uberwiegende Meinung der Barockgeschichte). Als wohl bekanntes Beispiel sei auf den Zusammenhang territorialer Anspruche eines Herrschenden mit den von ihm verwendeten historischen Titulatorien verwiesen.^ Die Etablierung der Archive bietet ein weiteres Beispiel dieser historischen Argumentation. Besonders in Staatsrecht waren die Archive die Quellen der Rechte des Herschers, und zu ihrer Bedeutung sei an den Streit zwischen von Ludewig und Pfannern erinnert, „ob und wie feme eine aus Archiven geschribene Historie glaubwiirdig seye oder nicht“. JohannJacob Moser [1701-1785] meinte 1738 in seinemTeutschen Staatsrecht, Ludewig hatte recht, und fuhrte zur Begriindung an, dab „die Gesandte offt wil falsches an ihre Höfeberichten, theils ihre begangene Fehler zuzudecken, theils le bon Valet zu machen, theils das Ansehen zu haben, als ob sie unermudet und gliicklich in ihren Negotiationen waren, u.d. wie man dann nur den von Pufendorf zum Exempel nehmen darff, der einige Sachen anderst beschrieben hat, als er sich nach dem Schwedischen Archiv gerichtet, und anderst, als er das seinige aus dem ChurBrandenburgischen genommen hat.'*'"* Seit der Mitte des 18. Jahrhundert wird das historische Argument aber auch in einem neuen, gegen die Aufklärung und gegen den Absolutismus gewendeten Sinne eingesetzt.‘^ So etwa bei Charles-Louis de Secondat, Baron de La Brede et de Montesquieu, [1689-1755] der betont, dab das historisch Gewachsene sich gegen den Zugriff des Absolutismus verteidigen miisse. Da der Absolutismus alles nach einem Plan geometrisch vereinheitlichen will, mub er das geschichtlich Entstandene beseitigen. Dabei beseitigt er aber auch die Freiheit ^ Armin Wolff, Geographic undJruisprudenz - Historia und Gcnealogie. ZumTheatrumprxtcnsionum in Europa", In: lus Commune, Bd. XIV, 1987, S. 227 ff. ** Johann Jacob Moser, Teutsches Staatsrecht, Teil 2, (1738), [Neudruck Gsnabruck 1968], S. 238 f. '* Uber die Kontinuitat in der Geschichtsauffassung, siehe Jan Schroder, Zur Vorgeschichte der Volksgcistlehre. Gesetzgebungs- und Rechtsquellenthcorie im 17. und 18. Jahrhundert. In: Zeitschrift der Savigny-Stiftung, Germ. Abt 109 (1992), S. 1 ff.
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