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Systematik im umbruch Die Bildung des einzelnen Gesetzes sei das Ergebnis eines kiinstlichen Prozesses, einer „Totalanschauung“ des organischen Zusammenhangs des Rechts.^'* Es sei als ein Durchschnitt dieses Zusammenhangs zu betrachten. Das Prinzip der Auslegung sei umgekehrt, diesem Durchschnitt seinen Zusammenhang wieder hinzuzufiigen.^^ Vor dem Hintergrund dieser Vorstellung kann Savignys Argumentation imKodifikationsstreit verstanden werden. Die Kodifikationsanhänger hatten die innere Einheit^^ des Rechts durch die Herstellung der festen Grundlage eines Gesetzbuches erreichen wollen. Dieses Streben war, so Savigny, Ausdruck der Wahnidee, daB das Recht durch das Gesetzbuch „unmittelbar und ausschliefiend" zu beherrschen sei.^^ Die Herstellung und Gewährleistung innerer Einheit sei stattdessen nur durch die stetige wissenschaftliche Bearbeitung möglich. Ergebnisse dieser Bearbeitung seien die „leitenden Grundsätze“ des Rechts. Durch den Besitz dieser leitenden Grundsätze wiirde man „den innern Zusammenhang" des Rechts erkennen können. Sie seien die „eigentlich regierende Rechtsquelle". Der Einftihrung eines Gesetzbuchs, das diese nicht zumAusdruck brächte, wiirde ein Zustand folgen, in dem sie als „wahre Rechtsquelle" verkannt wiirden. Sie wiirden sich imDunkeln hinter demfalschen Schein des Gesetzbuchs befinden.^® In „der Abfassung eines umfassenden Gesetzbuchs" sah Savigny ferner die Gefahr, dafi dadurch „unvermeidlich das zeitliche ErgebniB formeller Auffassung fixiert, und der natiirlichen Reinigung und Veredlung durch fortschreitende wissenschaftliche Entwicklung entzogen" wiirde.Das Fundament des Rechts nach Savignyscher Auffassung sind die leitenden Grundsätze einer „sich stets fortbildenden Theorie“'°°, der Kern des juristischen Berufs dementsprechend der Besitz dieser Grundsätze. Sie lieBen sich nicht in Gesetzen endgiiltig festschreiben. Zur Zeit des Kodifikationsstreits fehlte nach Erachten Savignys die Möglichkeit, sie iiberhaupt darzustellen; das „politische“ Element des Rechts sei nicht reif und die „formellen“ Fähigkeiten der Juristen nicht gut genug. Wäre indes diese Möglichkeit vorhanden, läge in deren Festschreibung die Gefahr einer konservierenden Wirkung. 83 2.8 Herstellung innerer Einheit Savigny hatte in dem Kodifikationsstreit Forderungen bzw. Erwarterungen „zweyerley Art“ an das Gesetzbuch wahrnehmen können: erstens sollte „Fur den innern Zustand des Rechts ... dadurch die höchste RechtsgewiBheit entA.a.O., S. 44. ■^5 A.a.O. Vgl. unten 2.8. Savigny, Stimmen fiir und wider neue Gesetzbiicher, Zeitschrift ftir geschichtliche Rechtswissenschaft, Bd. 3, Heft 1, 1816, Nr 8, 1-52, Neudruck in Hattenhauer (Fn. 26), S. 231 ff (239 f). Savigny, VomBeruf (Fn. 26), S. 110 f. Savigny, System (Fn. 36), S. 47 f. Savigny, VomBeruf (Fn. 26), S. 173. 100

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