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DieRECHTSQUELLENl.EHRE IN DER DEUTSCHEN RECHTSWISSENSCHAET . . . 85 von Darwin inspirierten moralischen Evolutionstheorie löste sich die Spannung von Gerechtigkeit und Gesetzesordnung im historischen Wandel auf."’'^ Die Rechtsphilosophie wird bei Jhering zumTeilgebiet einer Entwicklurigslehre, die demJuristen zwar die Einordnung seines jeweiligen Ordnungsproblems in eine universalhistorische Perspektive ermöglichte, dock — anders als in der von Savigny und Puchta begriindeten Tradition - die Geltung des positiven Gesetzesrechts nicht begrenzen konnte. Erst mit dem Aufkommen der Diskussion iiber das Rechtsgeftihl kann man die Ära des Positivismus, des Gesetzespositivismus, in der deutschen Rechtskultur datieren; das Rechtsgefiihl bleibt als residualer Begriff am Rande einer prinzipiell gesetzespositivistisch und teilweise richterpositivistisch aufgefal^ten Rechtsordnung iibrig. Ob man vor dieser Epoche des Gesetzespositivsmus eine solche des rechtswissenschaftlichen Positivismus annehmen kann, erscheint mir als zweifelhaft.^° Mit der Polarität von Gesetzesrecht und Richterrecht waren seit 1880 zwei Bezugspunkte gewonnen, deren gegenseitiges Verhältnis seitdem die deutsche Rechtswissenschaft bis zur Gegenwart beschäftigte. In der deutschen Doktrin war die Rechtsentstehung zu einemStaatsprozefi geworden, wie es der skandinavische Autor Alf Ross 1929 ausdriickte.^' Das setzte voraus, dal? der Staat dem Recht begrifflich vorgeordnet war. Zwar hat es immer wieder Kritik an einem solchermal?en etatisierten Rechtsbegriff gegeben, insbesondere in der nach 1900 scharf polemisch auftretenden Freirechtsschule, die von einem Ne- (=Abh. d. Ak. d. Wiss. Göttinj;en, Folgc 3, Nr. 75), S. 29-39; Peter Stein, Legal evolutit>n. Cambridge 1980, S. 65-68. Den Widerspruch de,s Rechtsgefiihls der Menschen gegeniiber einer positiven Recbtsordnung fiihrte Jhering aut „das Abstractionsvermögen des menschlichen Geistes" zuriick — so Jhering (wie Anm. 56), S. 45; hierzu Behrends (wie Anm. 56), S. I32-I35. Offenbar hat Jhering bier die Anerkennung von Gleichheitsprinzipien im Auge, die bei ihm abcr im Gefiihl begriindet sind. Zu der umstnttenen Frage von Jhenngs Verhältnis zum Darwinismus ct. einerseits Franz Wieacker, Jhering und der „Darwinismus“, Festschrift f. Karl Larenz zum 70. Geburtstag, Miinchen 1973, S. 63-92, und andererseits ausfuhrlich Pleister, Persönlichkeit (wie Anm. 56), S. 358-390, der Jherings Autfassungen von einem rassistisch bestimmten Sozialdarwinismus abgrenzt, sowie Okko Behrends, Rudolph v. Jhering, Der Durchbruch zumZweck des Rechts, in: Rechtswissenschaft in Göttingen, hrsg. v. F. Loos, Gottingen 1987, S. 229-269, hier S. 259. Zu dieser zentralen Frage der Jheringforschung kann hier nicht Stellung genommen werden. Zum Begriff des rechtswissenschaftlichen Positivismus vgl. Franz Wieacker, Privatrechtsgeschichte (wie Anm. 2), S. 430—439. Ich meine, dal5 dieser Begriff als Epochenbezeichnung ebenso wie der der ..Begriffsjurisprudenz" aufgegeben werden sollte. Alf Ross, Theorie der Rechtsquellen, Leipzig/Wien 1929 ( =Wiener Rechts- und Staatswissenschaftliche Studien, Bd. XIII), S. 179. Mit Recht wird in der von der deutschen Rechtstheorie niemals angemessen rezipierten Arbeit von Ross betont, dal? die positivistische Rechtsquellentheorie „nichtssagende Zirkellösungen" gebe (S. 178). Die Lösung des Positivitatsproblems des Rechts bei Ross im Sinne einer kollektiven Handlungs- und Willenstotalitat, die in durchgehender Korrelation stehe (a. a. O. S. 280 f.), ist in der Sache der Rechtsquellentheorie der historischen Schule verwandt, obwohl dies von Ross selbst nicht erkannt w’ird, der die Rechtslehre der historischen Schule einseitig als Produkt der Romantik interpretiert (a. a. O. S. 131-168).

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