80 Peter Landau beginnt der Weg, der 1885 zu dem Satz des Leipziger Zivilprozessualisten Oskar Bulow fiihrt: „Gesetz und Richteramt schafft dem Volke sein Recht. “40 2. Das Gesetzesrecht wird nun als wichtigste Rechtsquelle betrachtet. Hatte man im Gefolge Puchtas die Rechtsiiberzeugung als Geltungsgrund auch fiir gesetzliche Anordnungen angesehen und insofern ein naturrechtliches Element in der Rechtsquellenlehre bewahrt, so wird nunmehr die Geltung des Gesetzes ausschliel^lich auf den Staatswillen zuriickgefiihrt. Auch dieser Satz ist in der bereits zitierten Schrift von Adickes klar formuliert: „Die völlige Unabhängigkeit des einzelnen Gesetzes und seiner Geltungskraft von der Rechtsiiberzeugung, und seine Geltung nur durch den Staatswillen ist sonach als oberster Grundsatz aufzustellen. Ein etatistischer Rechtsbegriff setzt sich durch, dessen Legitimation darin gefunden wird, dafi das Gesetz anders als das Gewohnheitsrecht auf bewubter Abwägung der Griinde und bewufiter Erfassung der zu erreichenden Ziele beruht, wie es Windscheid in seinem Pandektenlehrbuch ausdruckt,'’“ während das Gewohnheitsrecht nur zufällige historische Bestimmtheiten zum Ausdruck bringe. Die Aufgabe der Gesetzgebung wurde jetzt nicht primär in der Fixierung eines bereits vorherrschenden Rechtszustandes gesehen, wie es noch in Puchtas Modell geschah, sondern in der schöpferischen Sozialgestaltung, und gerade deshalb konnte sie nicht Aufgabe des „Juristen als solchen“ sein. Windscheids bereits zitierte Äul^erung von 1884 erklärt sich aus einem politischen Gesetzesbegriff, der sich erst nach 1870 durchsetzen konnte. “41 3. Was schliel^lich Puchtas Recht der Wissenschaft betraf, so ist es nach 1870 aus der Rechtsquellenlehre verschwunden."*' Wissenschaftliche Lehrmeinungen können zu geltendem Recht nicht aufgrund ihrer Wahrheit werden, wie Puchta gelehrt hatte, sondern nur durch Ubung; sie können letztlich nur durch Rezeption in der Rechtsprechung zu einem Bestandteil der Rechtsordnung werden und gehören dann zum Gewohnheitsrecht. Puchtas Recht der Wissenschaft kann nur als Richterrecht fortleben. Eine solche Veränderung in der Bestimmung der Rechtsquellen mufite konsequent sein, wenn man die Rechtsentstehung auf Oskar Biilow, Gesetz und Richteramt, Leipzig 1885, S. 48. Bulow wollte mit dieser Schrih eine Theorie der richterlichen Rechtsschaffung entwickeln und vollstandig begriinden, s. V'orrede, S. XI. Zu Billow eindnnglich Ogorek, Richterkönig (wie Anm. 3), S. 257-265, die die etatistische Komponente in Billows Theorie vomRichterrecht ilberzeugend herausarbeitet. ■" Adickes, Rechtsquellen (wde Anm. 39), S. 25. Bernhard Windscheid, Pandekten, Bd. I, 6. Aufl., Frankfurt/M. 1891, S. 41, Anm. 4. ■*’ So auch Jan Schroder, Das Verhältnis von Rechtsdogmatik und Gesetzgebung in der neueren Rechtsgeschichte (am Beispiel des Privatrechts), in: Gesetzgebung und Dogmatik, Gottingen 1989 (=Abh. Ak. der Wiss. Göttingen, Phil.-hist. Kl.: Folge 3, Nr 178), S. 37-66, hier S. 55. Charakteristisch 1870 Karl Georg Bruns in seinem Beitrag „Das heutige römische Recht“ bei Franz v. Holtzendorff, Encyclopädie der Rechtswissenschaft, Leipzig 1870, S. 247-372, hier S. 258; „Noch weniger (sc. als Volksrecht und Juristenrecht, P.L.) bildet die Wissenschaft insofern eine selbst.ändige Rechtsquelle, als sie die Principien des bestehenden Rechts nachweist und zu ihren Consequenzen entwickelt. Denn darin ist der Sache nach ilberhaupt gar kerne neue Rechtsproduction enthalten." Diese Sätze von Bruns enthalten eine Gegenposition zu Savigny und Puchta.
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