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Dierechtsquellenlehrein der deutschen rechtswissenschaet ... Handelsrecht hatte fiir das vorigeJahrhundert etwa die Bedeutung, die heutzutage dem Arbeitsrecht zukommt. Unter diesen Umständen ist es besonders bedeutsam, dafi sowohl Heinrich Thöl, der Göttinger Professor und Verfasser des ersten groi^en Handelrechtslehrbuchs in 3 Bänden (1841—47), als auch Levin Goldschmidt., zweiter grofie Handelrechtsautor des 19. Jahrhunderts, Inhaber des ersten selbständigen handelsrechtlichen Lehrstuhls in Berlin und vorher Rat am Reichsoberhandelsgericht in Leipzig, sich zu Puchtas Rechtsquellenlehre bekannten. Puchtas Theorie erfuhr dabei auf dem Gebiet des Handelsrechts eine sehr lebensnahe und einleuchtende Konkretisierung. Die erste Rechtsquelle, das Gewohnheitsrecht, war fiir Thöl Produkt der „unmittelbaren Rechtsiiberzeugung des Handelsstandes oder der Juristen“,^° wobei bier das Volksrecht als Handelsusance gegeniiber dem Juristenrecht als Recht der Praxis iiberwiegen sollte.^' Die Handelsusancen seien Grundlage der Handelsgesetze, die in vielen Sätzen nur aufgezeichnete Usancen seien — die Usancen könnten aus dem Börsengebrauch erkannt werden. Gesetzliche Quellen des Handelsrechts spielten fur Thöl noch in den vierziger und fiinfziger Jahren nur eine untergeordnete Rolle— das durch den Deutschen Bund zustandegekommene ADHGB, Deutschland erstes grol^es Gesetzbuch, trat erst 1861 in Kraft. Wichtig ist aber ferner, daB Thöl wie friiher Puchta von der Wissenschaft als selbständiger Rechtsqelle ausgeht. Er bemerkt lapidar: „Die Wissenschaft ist eine Rechtsquelle. Sie stellt Rechtssätze heraus, welche bis dahin fehlten, erzeugt also Recht.Das wissenschaftliche Recht ergibt sich fiir ihn ähnlich wie bei Puchta aus dem höheren Rechtssatz, den Prinzipien, aus denen Konsequenzen gezogen werden — die Methode ist insofern Abstraktion und Deduktion. Daneben kennt Thöl aber einen zweiten Weg der Wissenschaft, neue Rechtssätze zu finden, indem sie nämlich aus dem Faktischen, der Natur der Sache, Rechtssätze mit Notwendigkeit ableite. Hier sei von einem typisierten Willen, Zweck und Verfahren der Kontrahenten bei einemVertrag, iiberhaupt der Interessenten bei einem Rechtsgeschäft, auszugehen.^^ Der Topos der „Natur der Sache“ dient dazu, mit teleologischen Interpretationsmethoden neue Rechtssätze zu gewmnen, Jahrzehnte vor der angeblichen Geburtsstunde der Interessenjurisprudenz. Aufgrund der Sachkunde der Juristen sei das wissenschaftliche Recht zwar nicht notwendig, aber doch fast ausnahmslos von den Juristen produziertes Recht; der Jurist miisse aber fiir den Tatbestand des Handels Belehrung des Kaufmanns erhalten, wobei er die Information nicht ohne Priifung aufnehmen diirfe. Der Gedanke einer wissenschaftlichen 77 Heinrich Thöl, Das Handelsrecht, 3. Aufl., Göttingen 1854, §7 (S. 33). Thöl(wie Anm. 30), §7(S. 331). Thöl, (wie Anm. 30), §8 (S. 37). Ausfiihrlich zum „Finden des wissenschaftlichen Rechtes“ auch Thöl, Einleitung in das deutsche Privatrecht, Göttingen 1851, S. 138—144. ” Thöl (wie Anm. 30), § 8 (S. 38).

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