Pfti:r Landau War Puchta gar ein naturrechtlicher Sozialist?’^ Wir können naturrechtliche Elemente in seiner Argumentation entdecken, wie bereits von Zitelmanti 1883“^ und dann von Berghohm 1892 mit Befremden vermerkt wurde;’^ aber die Begrenzung des Vernunftelements im Recht unterscheidet Puchta deutlich von der naturrechtlichen Tradition. Eins diirfte aber jedenfalls klar sein: Puchtas freiheitlicher Rechtsbegriff enthält ein vorstaatliches, gesellschaftliches Recht; er vertritt keinen etatistischen Rechtsbegriff. Puchta ging auch nicht von einem Gcsetzesabsolutismus aus. Von „rule of law“ könnte man in bezug auf Puchta sprechen, miil^te dabei aber imUnterschied zu manchen modernen Deutungen betonen, daft der zugrundeliegende Rechtsbegriff kein formaler ist. Recht wird durch materiale Prinzipien (Gleichheit, Wohlfahrt) beherrscht. Da die Volksiiberzeugung, Puchtas Volksgeist, unmittelbar neues Recht setzt, ist es auch irrefiihrend und mil^verständlich, diese Rechtslehre als positivistisch zu bezeichnen; sie beruht weder auf einem rechtswissenschaftlichen noch auf einemGesetzespositivismus. Puchtas Rechtsquellenlehre ist nun keineswegs in der Mitte des 19. Jahrhunderts eine blofi akademische Theorie ohne Einflufi auf das praktische Rechtsleben geblieben. Rechtshistorische Untersuchungen der Gerichtspraxis haben das Ergebnis gebracht, dab fast alle deutschen Obergerichte gegen Ende der fiinfziger Jahre des 19. Jahrhunderts die Gewohnheitsrechtslehre der historischen Schule angewandt haben, und dab damit die Rechtsquellenlehre Puchtas und Savignys die Praxis bestimmre."*^ Aber dariiber hinaus war diese Rechtsquellenlehre zunächst auch in der Rechtslehre weitgehend erfolgreich. Vor allemsetzte sie sich in der Literatur des Handelsrechts durch, wo Puchtas Dreigliederung von Gewohnheitsrecht, Gesetz und wissenschaftlichem Recht generell iibernommen wurde. Die Handelsrechtswissenschaft entstand als neuer und besonders produktiver Wissenschaftszweig im 19. Jahrhundert; das 76 In diesem Sinne neuestens die Puchiakritik bei Horst Heinrich Jakobs, Die Be^riindung der geschichtlichen Rechtswissenschaft, Paderborn/Wien'New York 1992 (=Rechts- und staatswiss. Veröff. der Görresgesellschaft, N.F., H. 63), S. 63: Puchta habe die beiden Elemente des Nationalen und Sozialistischen in Savignys Lehre hineingebracht. Jakobs konstruiert in der Frage der Rechtsentstehung einen prinzipiellen Gegensatz zwischen Puchta und Savignv, was schon deshalb unwahrscheinlich ist, weil Savigny im ersten Band seines Systems Puchtas Rechtsquellenlehre mit einigen Varianten ubernimmt. Wenn Jakobs Savignys geschichtliche Rechtswissenschatt als eine Lehre darstellt, fiir die eine Theorie der Rechtsquellen iiberhaupt entbehrlich sei (S. 77), so ist damit vorausgesetzt, dafi Savigny selbst Kap. 2 des ersten Buchs seines ..Systems des romischen Rechts“ einer uberfliissigen Anstrengung gewidmet habe. Ernst Zitelmann, Gewohnheitsrecht und Irrtum, AcP 66 (1883), S. 323—186, hier S. 419 {. Karl Bergbohm, Jurisprudenz und Rechtsphilosophie, Leipzig 1892 (ND 1973), S. 480-531. Als naturrechtlich klassifiziert Bergbohm die Lehre vomVolksgeist, die Gewohnhcitsrechtstheoric und die Lehre von der Wissenschaft als Rechtsquelle. Raimund Scheuermann, Einfliisse der historischen Rechtsschule auf die oberstrichterliche Zivilrechtspraxis bis zumJahre 1861, Berlin/New York 1972 ( =Miinsterische Beiträge zur Rechtsund Staatswissenschaft, H. 17), S. 90.
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