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Dierechtsquellenlehrf in der deutschen rechtswissenschaft ... 73 alleln durch die Vernunft bestimmt. Wäre Recht allein Ausflufi der Vernunft, dann wären seine Sätze notwendig und miif^ten daher in einem unveränderlichen Naturrecht zu erfassen sein. Aber fiir Puchta ist die Freiheit das Fundament des Rechts, die Möglichkeit des Menschen zur Entscheidung zwischen Gut und Bose, aus der auch die freie Entscheidung bei der Rechtsbildung folgt.'^ Recht grenzt dann in seiner jeweiligen Ausgestaltung Freiheitssphären ab, und da es sie zwischen verschiedenen Menschen verniinftig abgrenzt, wendet es dafiir das Prinzip der Gleichheit an — es ist das Uberwinden des Ungleichen in einempermanenten ProzeB.'^ Dieser Gedanke ist der Ausgangspunkt fiir Puchtas Lehre, dafi das Recht verniinftig sei, denn nur nach Vernunftprinzipien kann es sein Ziel erreichen, nämlich eine „mit Ungleichheit behaftete Gleichheit" herzustellen. Puchtas Rechtsquellenlehre enthcält wesentliche Elemente, die wir heute in teils geschriebenen, teils ungeschriebenen Verfassungsprinzipien ansiedeln, z. B. im Gedanken der VerhältnismäfiigkeitWeil das Recht ein verniinftiges Ganzes vIgny-Literatur finder man sehr unterschicdliche Äufierungen zu der Frage, inwieweit Savigny im ersten Band seines „Systems des heutigen römischen Rechts“ 1840 Puchtas Theorie der Rechtsquellen iibernahm, insbesondere die fur Puchta charakteristische Dreistufigkeit. Nach Ernst Landsberg hat Savigny im „System“ Puchtas Lehre ..festgehalten und ihrden klassischen Ausdruck verliehen" — cf. Roderick v. Stintzing/Ernst Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft, Bd. III/2, Miinchen/Berlin 1910, S. 449. Anders Eranz Zwilgmeyer, Die Rechtslehre Savignys. liine rechtsphilosophische und geistesgeschichtliche Untersuchung, Leipzig 1929 (=Leipziger Rechtswiss. Studien, H. 37), S. 27; nur Savigny, nicht .^ber Puchta habe die Wissenschaft als dritte Rechtsquelle anerkannt. Dieser These diametral eni^egengesetzt Jan Schroder bei Gerd Kleinheyer/Jan Schroder, Deutsche Juristen aus fiinf Jahrhunderten, 3. Aufl., Heidelberg 1989, S. 216: Puchta sei iiber Savigny hinausgegangen, insofern jener ein „wissenschaftliches Recht" anerkenne — ebenso Jan Schroder, Art. „Puchta“ in: HRG IV (1985), Sp. 95-100: Savigny habe nur die „praktische" juristische Arbeit als gleichwertige Rechtsquelle anerkannt. Zwilgmeyer kann sich auf § 14 des „Systems“ berufen, Schroder hingegen auf die §§ 19—20 desselben Werks. Wahrscheinlich setzt ein Verständnis der Rechtsquellenlehre Savignys voraus, dafi man seinen eigentiimlichen Wissenschaftsbegriff beriicksichtigt, wonach „Wissenschaft“ und „Porschung“ auch die Erkenntnis und Bewertung der Differenz der sitthchen Lebensansicht des Christentums von der des römischen Rechts umfaBte, also neue Wertsetzungen in der juristischen Praxis — so ausdriicklich Priedrich Carl v. Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Bd. 1, Berlin 1840, S. 90—93 (§20). Puchta selbst ging jedenfalls davon aus, dafi Savignys Begriff des wissenschaftlichen Rechts nicht zutreffend sei, da der produktive Einflul^ des Juristen auf das Recht nicht in der wissenschaftlichen Funktion beschlossen sei — cf. Puchta, Rez. Beseler in; Volksrecht und Juristenrecht, Jahrbiicher fiir wissenschaftl. Kritik 1844, Sp. 12 f. Puchta, Institutionen, §§ 3 und 4 (S. 9). Zu Puchtas Freiheitsbegriff, der ganz offensichtlich auf Schellings „Philosophischen Untersuchungen iiber das Wesen der Freiheit" beruht, vgl. meinen Aufsatz „Puchta und Aristoteles", ZRG Rom. Abt. 109 (1992) S. 1—30, hier S. 6—8. Puchta, Institutionen, §9 (S. 18-23); ebenso ders., Vorlesungen, Bd. 1, §21 (S. 49). Zu Puchtas Gleichheitsbegriff, der nach meiner Ansicht aristotelischen Ursprungs ist, vgl. meinen Aufsatz „Puchta und Aristoteles" (wie Anm. 16), S. 13 f. Hierzu vgl. Franz Wieacker, Geschichtliche Wurzeln des Prinzips der verhältnismäfiigen Rechtsanwendung, Festschrift Robert Fischer, Berlin/New York 1979, S. 867—881; auch in ders., Ausgewahlte Schriften, Bd. 2: Theorie des Rechts und der Rechtsgewinnung, Frankfurt 1983, S.228-241.

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