Petfr Landau 72 werdcn, wobei schon ein einziges Urteil zur Erkenntnis des Gewohnheitsrechts geniigt, also nicht eine ständige Rechtsprechung erforderlich ist." Ein Beispiel, das Puchta fiir diese Art von Gewohnheitsrecht gibt, diirfte auch heute noch Aktualität haben: Er hält es fiir möglich, dafi sich imRahmen des Wohnungsmietrechts eine gewohnheitsrechtliche Verpflichtung herausbilden könne, dal? Mieter beim Verlassen der Wohnung die Schönheitsreparaturen zu tragen haben. 2. Die zweite Rechtsquelle ist fiir Puchta das Gesetz, worunter er Festsetzung und Fortbildung des Rechts dutch den gerneinsamen Willen, zustande gekommen auf einem „verfassungsmäl?igen Wege“, versteht.'^ Er hält es aber nicht nur ftir unzweckmäfiig, sondern sogar geradezu ftir unmöglich, dal? man in einer Rechtsordnung alle Rechtssätze in Gesetzen aussprechen könne — ein solches Unternehmen könne nur fiir ein in den letzten Ziigen liegendes Volk gelingen.'"' Die Tendenz zu umfassender gesetzlicher Regelung wird folglich als Symptorn einer Verfallszeit gesehen. 3. An dritter Stelle kennt Puchta aber dann noch ein Recht der Wissenschaft — nicht nur die Gesetzgebung und die in juristischer Praxis sich äul?ernde Volksiiberzeugung sind rechtserzeugend, sondern auch die Wissenschaft ist unmittelbar rechtsproduktiv.^^ Recht ist fiir Puchta etwas Verniinftiges, aber nicht ” So Puchta, Cursus der Institutionen, Bd. 1, 2. Aufl., Leipzig 1845, § 16 (S. 38); ders., Pandekten, § 12 (S. 22). Nach Puchta, Vorlesungen, Bd. 1, S. 28, können drei oder vier Gerichtsentscheidungen den usus fori als Gewohnheitsrecht qualifizieren. Puchta subsumiert folglich zumindest Teile des Richterrechts im heutigen Verständnis dieses Begriffs eindeutig dem Gewohnheitsrecht und kann demnach im Rahmen seiner Theorie Richterrecht mit der Volksiiberzeugung verbinden und dadurch legitimieren. 1st diese Legitimationsgrundlage vorhanden, so ist Richterrecht in vollemSinne geltendes Recht, so daB derartiges Richterrecht fiir Puchta nicht etwa eine „schwächere subsidiäre Rechtsquelle" ist, wie in heutigen rechtstheoretischen Klassifizierungen behauptet wird — etwa bei Franz Bydlinski, Hauptpositionen zumRichterrecht, JZ 1985, S. 149—155. So Puchta, Institutionen, § 16 (S. 38 f.). " Puchta, Institutionen, § 14 (S. 33); ders., Pandekten § 15 (S. 27). Puchta bejaht hier auch ausdriicklich die Befugnis des Richters zur Beurteilung der Verfassungsmäfiigkeit des Gesetzes; ebenso ders., Vorlesungen, Bd. I, S. 36. Hierzu auch Ogorek, Richterkönig (wie Anm. 3), S. 206. Mit Recht bescheinigt Ogorek Puchta „eine ganz bewufite politische Einstellung" (S. 207). Im Rahmen meiner Studie soli allerdings nur die rechtstheoretische Konsistenz der Puchtaschen Rechtsquellenlehre thematisiert w’erden. Puchta, Institutionen, § 14 (S. 33). Puchta, Gewohnheitsrecht, Bd. 2, S. 15 f., ders., Pandekten, § 16 (S. 28-30). Die Methode der Erkenntnis des wissenschaftlichen Rechts kennzeichnet Puchta an der letztgenannten Stelle durch zwei „Operationen“: 1.) Erschliefiung des Rechtssatzes aus den Principien, unter welche der Fall seiner Natur nach gehört (juristische Consequenz), 2.) Nachweisung, dal? dieselbe Folgerung auch sonst schon unter gleichen Umständen in dem bestehenden Recht vorkommt (Analogic). Der Intention nach ist Puchtas rechtswissenschaftliche Methode solche einer Prinzipienjurisprudenz, nicht etwa einer Begriffsjurisprudenz. Letztere Vokabel sollte jedenfalls in bezug auf diesen Autor nicht mehr verwandt werden. Ausdriicklich wird Puchtas Lehre vom wissenschaftlichen Recht z. T. auch fur das geltende Recht libernommen von Vt'erner Flume, Gewohnheitsrecht und römisches Recht, Opladen 1975 (=Rhein.-Westf. Ak. d. Wiss., Vorträge G 201), S. 37—41. — In der Sa-
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