RS 19

Wi-:r hat angst vor’m dogma? Aber wir sollten zum Schlufi doch unterstreichen, daft selbst Kelsen noch nicht weit genug in dem Entlarvungsprozel^ dieser dogmatischen Doppelwertigkeit vorgedrungen ist. Die obengenannte „Hintertur“, die die Dogmatik sich sorgfältig offenhält, betrifft in der Tat nicht ausschliefilich die ganz besondere Position die in unserem modernen Zeitalter etwa seit dem Erfolg der Ratio-Status-Lehre dem öffentlichen Recht zukommt. Die nachschleifende theologische Repolitisierung der juristischen Sprache betrifft im Gegenteil mehr oder weniger alle wichtigen Rechtsbegriffe, die als Grundlagen des juristischen Räsonierens vorkommen: schon der sonst ziemlich verdächtige Kronjurist und Kelsengegner Carl Schmitt hatte mit Recht bemerkt, dafi alle modernen Rechtsbegriffe nichts anderes als säkularisierte theologische Begriffe sind. Diese Ambivalenz ist unter anderem konstitutiv — in einer nicht zufälligen Widerspiegelung der Doppeldeutigkeit des öffentlichtlichen Souveränitätsbegriffs — fiir die nicht nur juristische Auffassung von Individualität und Subjektivität: die moderne, seit dem Humanismus herrschende Gestaltung des Personenbegriffs als Subiectus gerade im doppelten Sinn des Wortes (souveränes und zugleich wörtlich unterworfenes Subjekt) schafft eine ganz bezeichnende und zukunftsreiche Deutung der Individualität als „unterworfene, untertänige Souveränität“.~^ Hier sollen wir uns, auf der Suche nach einem Erklärungsprinzip mit dem kurzen aber doch vielsagenden Hinweis begniigen, der uns wiederum in die Nähe der Jansenismus/Theologie-Problematik zuriickversetzen wird. Man wiirde aus gutem Grunde sagen diirfen, daft die oben kritisierte analytisch-wissenschaftliche Denkrichtung in dem Versuch einer Neubegriindung eines modernen, ökonomisch-technokratischen „Dogmatismus“ die Bedeutung und letztlich die nicht zu unterschätzende Uberzeugungskraft der Rechtsgeschichte neulich wiederentdeckt hatte. Durch diese teilweise sehr faszinierende erneute Fragestellung wäre es möglich mit Bezug auf unser Thema den Schluf^ zu ziehen, daB „es jahrhundertelang eine Medizin-Dogmatik gegeben hat, die als Modell einer rationalen Erfahrungswissenschaft auch anderen Fächern, wie z. B. der Jurisprudenz, als Orientierung diente. An sich ist diese Art von Festellungen aber unzulänglich, gerade ein ganz wichtiges Merkmal des sog. dogmatisch-juristischen Verfahren auch nur historisch zu erklären. Wie treffend hervorgehoben wurde, ist in dem dogmatischen praktischen Bereich „nun allerdings schon die Forderung nach besseren Theorien und Methoden keineswegs unproblematisch. Sie scheint die Besonderheit der DogM. Foucault, Microfisica del potere, Torino, 1978, S.59; vgl. dazu A. Serrano Gonzales, Michel Foucault. Sujeto, derecho, poder, Zaragoza 1987. M. Herberger, Dogmatik, S. 5; ferner idem, Rangstufen der Rechtsdogmatik im Himblick auf deren Bedeutung fiir die Gesetzgebung, in: Gesetzgebung und Dogmatik. 3. Symposion der Kommission „Die Funktion des Gesetzes in Geschichte und Gegenwart“ am 29. und 30. April 1988, hrsg. von O. Behrends u. W. Henckel, Göttingen 1989, S. 67-79. 21 « 27

RkJQdWJsaXNoZXIy MjYyNDk=