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Hans-Hi-inrich 240 zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts, die Uberwindung der Fragmentarisierung des Rechts im Norddeutschen Bund und Deutschen Reich fiir viele Rechtsgebiete gelöst werden konnte. Sollte diese These der Nutzbarmachung sprachlicher Techniken der Begriffsjurisprudenz zur Bildung einer Tarnsprache rechtspolitisch tätiger Ministerialdiplomaten mit kodifikatorischem Missionierungsauftrag richtig sein, ware das wohl so aufsehenderregend eigentlich nicht. Ein Gegenwartsbezug ist zumindest fiir Schweden iiberdeutlich: Wir erleben heute ähnliches imRecht der Europäischen Gemeinschaften, und wir beobachten es im schwedischen Recht, das gegenwärtig unter grol^en Anstrengungen im Rahmen des Vertrages von 1992 liber den Europäischen Wirtschaftsraum dem Gemeinschaftsrecht angepafit wird. Imeuropäischen Gemeinschaftsrecht sind Kunstsprachen — bewul^t und zwar nicht nur von Juristen, sondern auch von Dolmetschern und Ubersetzern im Rahmen ihrer Terminologiearbeit — fiir alle Tätigkeitsbereiche der Gemeinschaften entwickelt worden. Diese gewöhnlich nur schwer identifizierbaren Kunstsprachen stehen neben den gewachsenen nationalen Rechtssprachen und arbeiten mit Denotationen (und Konnotationen), die dem autonomen Europarecht, nicht aber den nationalen Rechten entnommen werden. Sie ihrerseits beeinflussen dann vom Europarecht her die nationalen Rechtssprachen. Wenn beispielsweise in Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften von „Ermessen“ die Rede ist, wird normalerweise nicht auf die deutsche Lehre vomErmessen der Verwaltung Bezug genommen, sondern auf Lehren des Gemeinschaftsrechts, die sich deutlich vom deutschen Recht unterscheiden, die manche Elemente des französischen Verwaltungsrechts und insbesondere der Lehre vom détournement de pouvoir erkennen lassen, die aber letztlich eine autonome Schöpfung des Gerichtshofs darstellen. Sie klingen bekannt, anheimelnd; sie provozieren nicht. Findet man sie in neu formulierten Rechtsvorschriften, ist ihre Provenienz nur schwer oder gar nicht zu ermitteln. Wie seinerzeit beim Biirgerlichen Gesetzbuch werden Materialien, die einschlägige Hinweise geben könnten, nicht oder nur in sehr gekiirzten Zusammenstellungen veröffentlicht. Kontroversen während der Vorarbeiten können in den Flintergrund verwiesen oder ganz vergessen werden. Empfindlichkeiten und politischer Widerstand werden vermieden. Die Rechtsentwicklung kann geräuschlos weitergehen. Mir scheint, es bestehen hier methodologische Gemeinsamkeiten zwischen der deutschen Entwicklung in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts und der Entwicklung des Rechts der Europäischen Gemeinschaften heute. Hier in Schweden, das sich vorsichtig den Europäischen Gemeinschaften nähert, miissen wir mit einer Renaissance der Begriffsjurisprudenz rechnen. Nicht im friiheren Sinne iiberlebter juristischer Arbeitsmethoden, sondern im Sinne einer gesetzgeberischen Technik, die durch systematisch-synthetische Neubildungen von Rechtsinstituten und Rechtsnormen und durch sprachhche Kreativität rechtspolitische Konflikte vermeidet, iiberbruckt und notfalls, bis sich Lösungsmöglichkeiten ergeben, tarnt.

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