Hans-HeinrichVogel 230 iiber drei Jahrzehnte hinweg kontinuierlich und zielstrebig betrieben werden, während sich zugleich die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse in Deutschland grundlegend änderten? Nicht ein einziges der auch fiir heutige Verhältnisse grofien und sehr grolsen Projekte scheiterte, obwohl die rechtspolitische Problematik offenkundig ist. Ganz offensichtlich entstand keine der erwähnten Kodifikationen der Zeit von 1860 bis zur Jahrhundertwende zur Ausfiillung eines legislativen Vakuums. Hinter alien Kodifikationsarbeiten erst auf Bundes-, dann auf Reichsebene fand man das Ziel einer Zuriickdrängung einschlägiger Teile der Rechtsordnungen der einzelnen Bundesstaaten zu Gunsten des Rechts des Norddeutschen Bundes und später des Reichs. Der Partikularismus stand gegen die Einheit; zur Einheit ging die allgemein- und rechtspolitische Tendenz der Zeit. Aber wie umfassend muBten die Konzessionen der Bundesstaaten sein? Doch wohl nicht bis zur widerstandslosen Selbstaufgabe und Verleugnung des gewachsenen eigenen Rechts! Zwangslaufig mufiten wenn nicht iiber die Zweckmäfiigkeit der Kodifikationen so doch jedenfalls iiber ihren Umfang politische Meinungsverschiedenheiten entstehen. Schon erwähnt worden ist, daB der BeschluB der Bundesversammlung von 1862 iiber die Ausarbeitung von Zivilprozefs- und Obligationenrechtsentwiirfen erst nach langen unerfreulichen Verhandlungen zustande kam. Die Entscheidung liber die Einrichtung des Bundesoberhandelsgerichts hinterlieB bei einer Reihe von Bundesstaaten ein Geflihl ausmanövriert worden zu sein; erst die erfolgreiche Arbeit des Genchts sicherte der Idee einer einheitlichen obersten Instanz die auf lange Sicht erforderliche Akzeptanz. Der Streit um die Reichskompetenz fiir die Gesetzgebung im Bereich des biirgerlichen Rechts verhinderte jahrelang Arbeiten an einembiirgerlichen Gesetzbuch. Der Streit um die Zuständigkeit zur Regelung der Gerichtsverfassung drohte wiederholt die Entstehung der Reichsjustizgesetze zu verzögern. Welche Gebiete des Zivilrechts sollte im iibrigen das zukiinhige biirgerliche Gesetzbuch umfassen? Die Vorkommission hatte einerseits mit dem Argument, die deutsche Nation begehre ein Gesetzbuch des biirgerlichen Rechts, nicht einige kodifizierte Rechtszweige, fur eine umfassende Kodifikation plädiert. Andererseits wollte die Vorkommission aber das Handelsrecht sehr weitgehend aus der Kodifikation heraushalten. Auf anderen Gebieten wie dem des Grundbuchrechts sah sie Vorbehalte fur das Landesrecht als unerläBlich an und auf Gebieten wie denen des Jagdrechts, des Enteignungsrechts und des Gesinderechts wollte sie nur dahingehend Festlegungen treffen, daB sorgfältig erwogen werden solle, ob sich nicht die pnvatrechtlichen Grundprinzipien dieser Institute zur gemeinschaftlichen Regelung im Gesetzbuch eigneten, während die öffentlich-rechtlichen Aspekte abgeschichtet werden sollten. Der Bundesrat war weitgehend mit diesen Ansichten einverstanden, der Bundes-
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