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Rfinfr Schufzf 208 den. Diese Herausforderung mag zunächst als doppelter Verlust empfunden werden: als Verlust der Geschlossenheit des nationalen Systems und als Verlust der Gewil^heit und Beständigkeit des kodifizierten Rechts. Ungebrochen bewahren lassen sich aber aus den angedeuteten Griinden die Privatrechtskonzeptionen des 19. Jahrhunderts sicherlich - man mag es bedauern oder nicht - weder hinsichtlich des nationalen Gedankens noch hinsichtlich des Kodifikationsideals. Und der Blick in die ältere Rechtsgeschichte des europäischen Kontinents, vor allem auf das lus commune und auf das Naturrecht, ebenso wie der vergleichende Hinweis auf das Common Law zeigen die Vielfalt möglicher Entwicklungsformen eines den jeweiligen Verhältnissen angemessenen, leistungsfähigen Privatrechts^° iiber die Muster hinaus, die viele Juristen im Bereich des Civil law im Laufe der letzten beiden Jahrhunderte als die einzig Denkbaren zu betrachten geneigt waren. Ebenso wie eine Verabsolutierung des nationalen Rechts und der Kodifikation ware freilich eine Negation der Erträge und Vorziige der damit verbundenen Privatrechtsennv'icklung wahrend der letzten beiden Jahrhunderte eine ahistorische, ernsthaft nicht in Betracht kommende Antwort. Weder fiir die Rechtsinhalte noch fiir die Entwicklungsformen des Privatrechts kann es im Hinblick auf heutige oder kiinftige europäische Gemeinsamkeiten gar ein Zuriick zum älteren lus commune, ein Wiedererstehen des römischen Rechts etwa als Usus modernissimus Pandectarum,^’ geben. Fiir das europäische Privatrecht unserer Zeit ist vielmehr die Frage nach den angemessenen Entwicklungsformen und nach einer entsprechenden Theorie des Privatrechts nicht mit Denkmustern aus der Blutezeit des Nationalstaates aus der vorangegangenen Epoche der „alteuropäischen Gesellschaft“ zu beantworten, so wichtig— in der Ausdrucksweise des 19. und friihen 20. Jahrhunderts - „die Fortschritte des Zivilrechts“^' in beiden Epochen fiir die Gegenwart sind, sondern nur aus den Bedingungen unserer Zeit heraus, in Auseinandersetzung insbesondere mit den Bediirfnissen und Möglichkeiten des Entstehens einer europäischen Rechtsgemeinschaft auch auf privatrechtlichemFeld.^^ Zu diesem Fragenkreis hat in Deutschland wahrend der letzten Jahre eine lebhafte Diskussion eingesetzt. Welches die Voraussetzungen, die Ziele und die Wege bei der Entwicklung eines gemeinsamen Privatrechts im heutigen Europa sind, wird dabei recht unterschiedlich beurteilt. Ohne dal^ die Positionen hier im einzelnen wiedergegeben werden können, läfit sich wohl resumieren, dal^ — zu Recht — die Herausbildung europäischen Privatrechts in erster Vgl. Zimmermann (Fn. 20), S. 10 1. sowie 15 ff.; Samuel (Fn. 26), Kap. I. Schulze (Fn 19), Kap. V, These (3). Dazu Justus Wilhelm Fledemann, Die Fortschritte des Zivilrechts im 19. Jahrhundert: Fin Uberblick iiber die Fntfaltung des Privatrechts in Deutschland, Osterreich, Frankreich und der Schweiz, 2 Bde., Berlin 1910. Vgl. dazu Muller-Graff, Gemeinsames Privatrecht (Fn. 13), S. 311.

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