Al.l.GEMKlNFRECHTSGRUNDSÄTZE UNO ENTWICKLUNG. . . 205 dieser Frage die Herausforderung zu einer kritischen Auseinandersetzung mit mancherlei vertrauten Vorstellungen, die sich zum Teil seit der Bliitezeit des Nationalstaatsgedankens verfestigt haben und den Blick auf die Vielfalt historischer Formen der Privatrechtsdarstellung und -entwicklung verstellen können. Zu diesen Vorstellungen gehören insbesondere das Modell eines geschlossenen Systems des nationalen Rechts, das sich gewissermafien in nationalgeschichtlichem Selbstlauf fortentwickelt, und die weitgehende Identifikation des Rechts mit dem Gesetz, vor allemmit den Kodifikationen des Nationalstaates. Rechtshistorisch erklärbar ist das Modell eines geschlossenen, allein aus „inneren“ Kräften sich fortentwickelnden Systems ebenso aus der Tradition der ITistorischen Rechtsschule und ihrer „Volksgeistlehre spriinglich naturrechtlichen) Kodifikationsgläubigkeit"^^ mit ihrer Annahme einer prinzipiellen Vorhersehbarkeit und Regelbarkeit aller kiinftigen Sachverhalte durch den jeweiligen (nationalen) Gesetzgeber. So wirksam dieses Modell als Leitvorstellung fiir die Fortentwicklung des Privatrechts unter nationalstaatlichen Vorzeichen auch war, ist es indes als eine Beschreibung historischer Realität zumindest erheblich zu relativieren, wenn die vielfältigen Formen des juristischen Wissenstransfers, der Bezugnahme der einzelnen nationalen Rechtswissenschaften aufeinander und der Vergleichung in der Zeit des Nationalstaates in den Blick treten/^ Obgleich imvorherrschenden Selbstverständnis der Juristen das Recht und die Rechtsentwicklung jeweils nahezu ausschliefilich als Leistung der eigenen Nation erschienen, war das 19. Jahrhundert trotz (oder gerade wegen) seiner Ausrichtung auf den Nationalstaat und die Konkurrenz der Nationen — mit einem Wort Nietzsches — ein „Zeitalter der Vergleichung“ und die Privatrechtsentwicklung eines jeden Landes profitierte angesichts weithin gleicher oder ähnlicher Problemlagen von den Erfahrungen und Vorgaben anderer Länder. So war der französische Gode civil ebenso Vorlage fiir die nationale Zivilrechtsgesetzgebung einer Reihe anderer Länder"^’ wie Ausgangspunkte bei Savigny (Fn. 33), S. 14 und Georg Friedrich Puchta, Das Gewohnheitsrecht, 1. Teil, Erlangen 1820, S. 3; vgl. dazu Jan Schroder, Zur Vorgeschichte der Volksgeistlehre, in: ZRG Germ. Abt. 109 (1992), S. 1-47; Going (Fn.5), Bd. II, S. 41 ff.; Reinhold Zippelius, Rechtsphilosophie, in: Roman Herzog, Hermann Kunst, Klaus Schlaich, WilhelmSchneemelcher (Hrsg.), Evangelisches Staatslexikon, 3. Aufl., Stuttgart 1987, Bd. 2, S. 2719 ff. (2722 ff. mit weiteren Nachweisen). Siehe dazu den Vortrag von Paolo Gross! auf dieser Tagung sowie Franz Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2. Aufl., Göttingen 1967, S. 458 ff. Schulze (Fn. 5), S. 18 ff.; ders., European Legal History — A NewField of Research in Germany, in: The Journal of Legal History, 1992, S. 270 ff. mit weiteren Nachweisen. Friedrich Nietzsche, Menschliches, Allzumenschliches, in: Friedrich Nietzsches Gesammelte Werke, hg. v. Richard Oehler, Miinchen 1923, Bd. 8, S. 39; hierzu ErikJayme, Das Zeitalter der Vergleichung — Emerico Amari (1810-1870) und Friedrich Nietzsche (1844—1900), in: Reiner Schulze (Hrsg.), Die deutsche und die italienische Rechtskultur im „Zeitalter der Vergleichung", Berlin vorauss. 1993. Vgl. Schulze, Französisches Zivilrecht (Fn 26). «45 der (ur wie aus
RkJQdWJsaXNoZXIy MjYyNDk=