Reiner Schulze 202 und dauerhaft zu bestimmen, andererseits, zu uberwinden. Es ist daher wohl kein Zufall, dafi gerade in der zweiten Halite des 19. Jahrhunderts - im Zusammentreffen des Wandels der Privatrechtsordnung in der Folge der Industrialisierung mit einer Welle nationaler Zivilrechtskodifikationen — eine Reihe neuer Gesetzbiicher den Riickgriff auf allgemeine Rechtsgrundsätze festlegte. Obwohl der französische Code Civil von 1804 eine derartige Bestimmung nicht enthielt, fanden so die Allgemeinen Rechtsgrundsätze nach der Jahrhundertmitte bemerkenswerterweise auch Eingang in Gesetzbiicher, die sich ansonsten weithin an den Code Civil anlehnten (so z. B. in Art. 3 ital. Codice civile 1865; Art. 6 span. Codigo 1889). c) Die rechtsgeschichtliche Bedeutung der allgemeinen Rechtsgrundsätze beschränkt sich aber keineswegs auf derartige Beiträge zur Vereinheitlichung und zur Fortbildung des jeweiligen nationalen Zivilrechts. Nur kurz hinzuweisen ist in dem hier gesteckten Rahmen auf den vielfältigen Transfer von Rechtsbegriffen und -vorstellungen, die sich zunächst vor allem fiir das Zivilrecht herausgebildet hatten, auf andere Rechtsgebiete unter dem Gedanken, daf5 das Zivilrecht und das empfangende Rechtsgebiet von gemeinsamen Rechtsgrundsätzen beherrscht wiirden. Die Allgemeinheit der Rechtsgrundsätze bezog sich insofern nicht auf verschiedene geographische oder politische Räume und ihnen zugeordneten Rechtsquellen, sondern auf verschiedene Rechtsmaterien. In dieser Hinsicht gewann der Gedanke der allgemeinen Rechtsgrundsätze beispielsweise auf dem Gebiet des entstehenden Verwaltungsrechts in Frankreich und im Gefolge auch in Deutschland und weiteren Fändern weitreichende Bedeutung.Neben dem Vorgehen imWege der Analogie ermöglichte er die Ubernahme vertrauter und bewährter Begriffe und Prinzipien aus dem Zivilrecht und trug damit zur juristischen Erschliel^ung und Strukturierung der neuen Materien bei. Bis heute zeigt schon die Terminologie des deutschen Verwaltungsrechts die historische Verwandtschaft mit dem Zivilrecht an - von der Rechtsperson fiber Feistung, Anfechtung und Nichtigkeit bis hin zu (öffentlich-rechtlichem) Dienstverhältnis und Vertrag. d) Auf demGebiet des Zivilrechts selbst ermöglichten die allgemeinen Rechtsgrundsätze selbst imZeitalter des Nationalstaates zudemeine Verbindung verschiedener Rechtsuberlieferungen fiber das kodifizierte nationale Recht hinaus. Dies gilt namentlich fur die Verbindung des nachrevolutionären französischen Fiir Frankreich siehe Benoit Jeanneau, Les principes généraux de droit dans la jurisprudence administrative, Paris 1954; Helmut Krech, Die Theorie der allgemeinen Rechtsgrundsätze imIranzösischen öffentlichen Recht, Göttingen 1973; Georges Vedel Pierre Delvolvé, Droit Administratif, Paris 1984, S. 393. Zum Deutschen Verwaltungsrecht siehe Michael Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, 2 Bde., Band 2, Munchen 1992, S. 97; ders.. Die Historische Schule und das öffentliche Recht, in; ders. (Hrsg.), Die Bedeutung der Wörter, Festschrift ftir Sten Gagnér zum70. Geburtstag, Munchen 1991, S. 495 ff.
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