201 Al l GEMKIKI- RHGUTSCRUNDSÄTZF UNO FNTWICKI.UNG. . . lichung im territorialstaatlichen oder nationalstaatlichen Rahmen wurde, schien zwar die Ausrichtung der Rechtswissenschaft und der Rechtsprechung am kodifizierten Recht die naturrechtliche Herleitung einzelner Normen und die historisch-vergleichende Entwicklung gemeinsamen nationalen Rechts weithin entbehrlich zu machen. Fiir die allgemeinen Rechtsgrundsätze fiihrten die Kodifikationen gleichwohl nicht zu einem völligen Bedeutungsverlust, sondern zu einem weitgehenden Verständnis- und Funktionswandel. Der Begriff biilste häufig seinen naturrechtlichen Gehalt ein, fiigte sich in der einen oder anderen Weise einem positiv rechtlichen Zusammenhang ein und wurde damit in erster Linie zu einer Kategorie der Fortentwicklung des positiven Rechts aus sich selbst heraus. Fine Vorreiterrolle auf diesemWeg nahm das preuBische Allgemeine Fandrecht von 1794 ein. Fs ordnete den Riickgriff auf allgemeine Grundsätze an, band ihn aber zugleich positivrechtlich ein: Herangezogen werden sollten die „in dem Landrechte angenommenen allgemeinen Grundsätze" (Fink § 49 preuB. AFR).^"’ Die „allgemeinen Grundsätze" waren damit in zweifacher Hinsicht in das positive Recht eingepaf^t: Das Gesetzbuch ordnete ihre Geltung an, und es bestimmte sich selbst zum MaBstab des Umfanges ihrer Geltung. Demgegeniiber verwies zwar beispielsweise § 7 österr. ABGB von 1811 dem Wortlaut nach weniger eingeschränkt auf die „naturlichen Rechtsgrundsätze". Die spätere Interpretation-^^ scheint indes auch fiir das österreichische Zivilrecht diesem Riickgriff auf die Rechtsgrundsätze eine ähnliche positivrechtliche Wendung gegeben zu haben, wie sie im preufiischen AFR vorgezeichnet ist. Unbeschadet der Ablösung aus der naturrechtlichen Tradition des 18. Jahrhunderts konnten die allgemeinen Rechtsgrundsätze in der Folge zur Interpretation und Fortentwicklung des kodifizierten Rechtes dutch Rechtswissenschaft und Rechtsprechung beitragen. Sie gestatteten im Falle eines Regelungsbedarfs die Neuformulierung von Sätzen des positiven Rechts, indem der jeweils angenommene rechtliche Gehalt von gesetzlichen Bestimmungen mittels Abstraktion und Verallgemeinerung auf die neue Problemlage oder Problemsicht iibertragen wurde. Insofern lassen sich die allgemeinen Rechtsgrundsätze als ein Instrument (unter mehreren) ansehen, umden Widerspruch zwischen der Notwendigkeit ständiger Fortentwicklung des Privatrechts einerseits und dem Ziel der Kodifikation, das geltende Recht umfassend Vgl. dazu Clausdietcr Schott, „Rechtsgrund.sätze“ und Gesetzeskorrektur, Berlin 1975, S. 36 ff.; Bernadette Dro.ste-Lehnen, Die authentische Interpretation, Baden-Baden 1990, S. 258 If.; Andreas Schwennicke, Die Entstehung der Einleitung des Preullischen Allgemeinen Landrechts von 1794, Erankfurt a. M. 1993, S. 271 ff. Vgl. Stanislaus Dniestrzanski, Die natiirlichen Rechtsgrundsätze (§ 7 ABGB), in: Festschrift zur Jahrhundertfeier des Allgemeinen Biirgerlichen Gesetzbuches, Wien 1911, 2 Bde., Bd. 2, S. 1 ff.; Moriz Wellspacher, Das Naturrecht und das Allgemeine Biirgerliche Gesetzbuch, in: ebda., Bd. 1, S. 173 ff. sowie den Vortrag von Wilhelm Brauneder auf dieser Tagung.
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