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Al LGEMElNERECHTSGRUNDSÄTZE UNDENTWICKLUNG. . . 197 ubernationalen Bezugsrahmen zu geben. — Unter dieser Perspektive gewinnt fiir die rechtshistorische Forschung die Frage nach demBeitrag des Gedankens der „allgemeinen Rechtsgrundsätze“ zur Rechtsentwicklung in Europa während friiherer Epochen an Interesse. Hierzu können imfolgenden lediglich einige thesenartige Hinweise Aufgabenstellungen weiterer Forschungen abstecken. IL a) Unter den vielfältigen Verwendungsweisen und -zielen der „allgemeinen Rechtsgrundsätze“ in der europäischen Geschichte heben sich zwei Funktionen des Begriffes hervor: die juristische Erschliefiung neuer Materien und die Synthese unterschiedlicher Rechtstexte und -traditionen. Zur Erschliefiung neuer Materien konnten die „allgemeinen Rechtsgrundsätze“ beitragen, indent sie Regeln, Begriffe und Argumentationsmuster aus einem anderen Rechtsgebiet abstrakt und verallgemeinert ausdriickten und dadurch auf das neue Gebiet iibertragbar werden liefien. Innerhalb eines Rechtsgebietes gestatteten sie es durch die entsprechende Abstraktion und Verallgemeinerung, die Inhalte unterschiedlicher Quellengruppen und Rechtstraditionen zu einer gemeinsamen juristischen Aussage zusammenzufassen. Zu einem als gleich oder ähnlich angesehenen Gegenstand mochte die Aufzeichnung eines Gewohnheitsrechts aus dieser Landschaft eine Regel enthalten, ein Rechtsbuch aus einer anderen Landschaft Stellung nehmen und selbst ein römischer Autor iiber ein Jahrtausend zuvor eine Fallösung vorgelegt haben. Die Verschiedenheit von Ort, Zeit und Sprache muf^te es nicht ausschliefien, den einzelnen Textaussagen unter Abstraktion von ihren Besonderheiten einen gemeinsamen Gehalt zuzusprechen und diesen als allgemeines Prinzip der Anwendung einer dieser Texte oder einer Synthese aus ihnen bei Entscheidungen fiber Rechtsfälle des eigenen Raumes und der eigenen Zeit in der eigenen Sprache zugrunde zu legen. Die theoretischen Voraussetzungen einer derartigen Abstraktion von Rechtsinhalten und der darauf beruhenden Rechtsanwendung und Rechtsfortbildung durch Rekonkretisierung bildeten sich in der gemeinrechtlichen Jurisprudenz seit dem hohen Mittelalter in einem wechselvollen, hier im einzelnen nicht nachzuzeichnenden Prozefi heraus. An seinemAnfang stand die „Renaissance“ nicht allein des römischen Rechts, sondern auch der antiken Philosophie im 12. Jahrhundert.^^ In der Folge mochte die eine Rechtsschule ihr methodisches Interesse hauptsächlich auf die Abstraktion richten, die andere auf die Darstellung des Konkreten, auf Erfassung und Neufassung des Besonderen. Aber auch wenn sich beispielsweise in der Abkehr von der Scholastik Going (Fn. 5), S. 9 ff.; Schulze (Fn. 5), S. 15.

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