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190 Jan Schrödfr Theorie ist also ganz gleichförmig: Vor 1790 vereinzelte Ansätze, 1790 bis 1800 erstmalige Durchfiihrung der modernen Haupteinteilung und Fächerabgrenzung, nach 1800 weitere Verbreitung der neuen Gesamtsystematik. Ich möchte daraus folgern, daft von einem direkten Einfluls des Naturrechts auf das positive Recht (oder umgekehrt) nicht die Rede sein kann. Er wiirde eine zeitliche Verzögerung der einen gegeniiber der anderen Theorie voraussetzen, die in unserem Fall offenbar nicht gegeben ist. 2. Gemeinsame Wurzeln der naturrechtlichen und der positivrechtlichen Theorie? Damit stellt sich die Frage, ob es fiir die Enwicklung in der naturrechtlichen und der positivrechtlichen Theorie eine gemeinsame Wurzel gibt. Die Frage ist m. E. zu bejahen. Und zwar sehe ich diese gemeinsame Wurzel in den eben ausfiihrlich geschilderten Wandlungen des Staats- und Rechtsverständnisses, d.h. im Ubergang zu einem Gewaltmonopol des Staates und zum Postulat einer prinzipiell friedlichen Rechtsordnung. Gegen diese Erklärung spricht nicht, dafi diese neue Staats- und Rechtstheorie erst 1797 bei Kant ihre konsequente Ausgestaltung bekommt. Vielmehr ist diese naturrechtliche Systematisierung nur der Schlufipunkt einer schon Jahrzehnte vorher einsetzenden Wandlung der politischen Wirklichkeit und des politischen Denkens. Private Herrschaftsrechte werden imletzten Drittel des 18. Jahrhunderts mehr und mehr beseitigt. Es beginnt die Abschaffung der Leibeigenschaft, imdeutschen Sprachraumseit 1781 (Österreich), 1787 (Markgrafschaft Baden), theoretische Spuren dieser Wandlung: das Gesinde wird nicht mehr zumHerrschaftsverband der Familie gerechnet (schon 1775 und 1784) in den Lexika von Adelung und in der Deutschen Encyclopädie);"** die Beziehung zwischen Herrn und Knecht wird nicht mehr als herrschaftliche Gesellschaft, sondern als schlichter Dienstvertrag aufgefaht (so z. B. 1793/94 in den Naturrechtslehrbiichern von Hoffbauer und Tafinger'*^). Es wird das Eigentum in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts nur noch ganz vereinzelt als „Herrschaft“ bezeichnet.^° Ständische Hoheitsrechte werden nicht mehr als vorstaatlich, sondern als staatliche Vergiinstigungen betrachtet: etwa von Svarez in seinen Kronprinzenvorträgen (1791/92).^' Umgekehrt werden bisher „unterprivileland geltenden Rechts, Rostock und Leipzig 1807, S. 30. Siehe weiterhin die Nachweise bei L. Björne (Fn. 2), S. 60 ff.; Jan Schröder; Wissenschaftstheorie und Lehre der „praktischen Jurisprudenz" auf deutschen Universitäten an der Wende zum 19. Jahrhundert, Frankfurt am Main 1979, S. 120 ff. Siehe FI. Conrad: Deutsche Rechtsgeschichte, II, Karlsruhe 1966, S. 222 f. ■'* Nachweise bei Dieter Schwab: Familie, in: Geschichtliche Grundbegriffe, herausgegeben von O. Brunner, W. Conze, R. Koselleck, II (Stuttgart 1975), S. 253 ff. (277). ■*’ J. C. Fioffbauer (Fn. 20), S. 138 f., 179 ff.; W. G. Tafinger: Naturrecht (Fn. 34), S. 157, 201. Nachweise bei Dieter Schwab: Eigentum, in: Geschichtliche Grundbegriffe II (Fn. 48), S. 65 ff. (77). Carl Gottlieb Svarez: Vortrage iiber Recht und Staat, herausgegeben von H. Conrad u. G. Kleinheyer, Köln etc. 1960, S. 263. 47 Es zeigen sich auch erste

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