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DiKEINTEILUNGDES RECHTS INÖFEENTLICHESRECHT UNDPRIVATRECHT 183 mischung von öffentlichem Recht und Privatrecht, wie Bullinger'^ meint, sondern einfach die Vorstellung, daB Zwang und Uberordnung nicht fur den Staat spezifisch sind und deshalb iiberhaupt nicht zum „ius publicum" gehören. Wenn das richtig ist, dann hätte allerdings fiir das naturrechtliche Denken im mittleren 18. Jahrhundert der Staat iiberhaupt keine besonderen, nur ihm zukommenden Aufgaben gehabt. Und in der Tat wird das in der zeitgenössischen Literatur auch ausdriicklich gesagt, etwa in Kreittmayrs Kommentar zum bayerischen Zivilgesetzbuch von 1756: „Eine absolute Nothwendigkeit aber kann man . . . von solcher Gesellschaft (d. h. dem Staat) durch die Vernunft nicht ausmachen, indem sowohl der menschliche Bedarf als Bequemlichkeit durch andere Gesellschaften und Biindnisse ebenfalls gesteuert werden kann“.'^ Bei Achenwall heiBt es, der Staat diene zur Erreichung der Gliickseligkeit. Dazu dienten freilich auch die anderen Gesellschaften, aber immerhin sei der Staat „specie perfectior", in seiner Art vollkommener.*^ Davon, daB diese Zwecke etwa nur imStaat erreicht werden könnten, ist nicht die Rede. Wir bekommen also ein Bild vomStaat, in dem dieser nur eine Gesellschaft, eine Rechtseinrichtung unter vielen ist, kein Zwangs- und Gewaltmonopol und iiberhaupt keine spezifischen Aufgaben hat, die ohne ihn nicht bewältigt werden könnten. Man muB natiirlich fragen, ob diese Vorstellung vom Staat, die ja keineswegs als Utopie verstanden werden will, der zeitgenössischen Wirklichkeit tatsächlich entspricht. Das mittlere 18. Jahrhundert gilt uns ja oft als die Zeit der groBen absolutistischen Staaten, in denen der möderne Staatsbegriff bereits weitgehend verwirklicht ist. Bei näherem Zusehen verhält es sich aber doch viel komphzierter. Es gibt in der Mitte des 18. Jh. auch in der Rechtswirklichkeit noch eine ganze Reihe vorstaatlicher, „privater“ mit Hoheitsrechten verbundener Rechte, die wir uns heute nur als staatliche denken können. Der Grundeigentiimer verfiigt iiber „feudale“ Herrschaftsrechte. ImVerhältnis von Herrn und Knecht, man denke etwa an die Gutsuntertänigkeit, wird quasistaatliche Gewalt ausgeiibt. Die Stände, die allerdings in den Naturrechtssystemen nur am Rande vorkommen, haben eigene, nicht von einem Staat abgeleitete Hoheitsrechte (jedenfalls in einer Reihe kleinerer, noch nicht absolutistischer Staaten). Umgekehrt gibt es Staaten, die ein Gewaltmonopol gegeniiber ihren Mitgliedern und inneren Frieden nicht durchsetzen können, man denke nur an das deutsche Reich selbst, dessen Stände auch gegeneinander Krieg fiihren. Den modernen Staat, dem eine einheitliche, nicht mit Gewalt- und Zwangsrechten versehene Untertanschaft gegeniibersteht, findet man in der Mitte des M. Bullinger (Fn. 2), S. 36 und öfter. Mit Recht weist Lars Björne: Nordische Rechtssysteme, Ebelsbach 1987, S. 127 darauf bin, dal? es sich in den nordischen Rechten änders verhält, meint aber offenbar, fiir Deutschland Bullingers Schlullfolgerungen iibernehmen zu mussen. Wiguläus Aloys Xaver v. Kreittmayr: Anmerkungen iiber den CodicemMaximilianeumBavaricumcivilem, 1. Teil (1758), neue Aufl. Miinchen 1821, 1. TI., 2. Kap., § VI, 2. (S. 43 L), imAnschlul? an Justus Henning Böhmer: Introductio in ius publicumuniversale, Halle 1710, S. 126 ff. G. Achenwall (Fn. 3), Pars Posterior, § 85, S. 66. 13

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