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Das römischk rfcht-vonratio scripta zu „muster“ und „vorbild“ 171 werden können, aber das Motiv fur diese Auffassung ist unklar. Es scheint, als babe er sich in seinem Versuch, das römische Recht zu verteidigen, im Kreis bewegt; fiber die Naturrechtslehre bewegt sich Nordlings Gedankengang vom römischen Recht als eine „seit langem tote Gesetzeskunde“ bis zu einer Folgerung, die in hohem Grade dem Ausgangspunkt der Uberlegung ähnelt. Bei näherer Betrachtung scheint der ganze Aufbau des Plädoyers Nordlings ein wenig kurios. Die unmittelbare Drohung gegen die Stellung des römischen Rechts als obligatorisches Unterrichtsfach in der Juristenausbildung hatte seinen Ursprung im Mifitrauen der praktisch tätigen Juristen gegen die rechtswissenschaftliche Tätigkeit. Trotzdem richtete sich Nordlings Polemik vor allemgegen eine ausgeprägte akademische Tradition, nämlich gegen die Gewohnheit - oder Untugend - der Naturrechtslehrer, das römische Recht als »ratio scripta" des Rechts aufzufassen. Eine auffallende Parallelerscheinung zu Nordlings Uberlegungen in seiner Antrittsvorlesung findet man in Friedrich Garl von Savignys Streitschrift „VomBeruf unserer Zeit fiir Gesetzgebung und Rechtswissenschaft" wieder. Obwohl mehr als ein halbes Jahrhundert zwischen dem Zeitpunkt, als Savigny „vom Beruf" veröffentlichte und dem Sommertag, an dem Nordling seine Antrittsvorlesung hielt, vergangen ist, stimmen Savignys Uberlegungen in jedem wesentlichen Teil mit Nordlings Argumenten fiir das römischrechtliche Studium uberein. Auch Savigny leitete seine Analyse der Bedeutung des römischen Rechts fiir das positivrechtliche Studiummit einer Kritik an der traditionellen Weise dieses Each zu verteidigen ein. Man erhält den Eindruck, dafi Savigny eigentlich die Ansicht teilte, daft das Studium des römischen Rechts das besondere historische und kulturelle Gepräge des deutschen Rechts bedrohte. Savignys Kritik gait jedoch nicht dem Studium des römischen Rechts an sich, sondern nur der Art, wie es bisher betrieben worden ist. Deshalb wies Savigny die Argumente ab, die die Verteidiger des römischen Rechts bis dahin benutzt hatten, und zwar „dafi es die ewigen Regeln der Gerechtigkeit in vorziiglicher Reinheit enthalte, und so gleichsam selbst als ein sanctionirtes Naturrecht zu betrachten sey".^’ Savigny stellte ausdrficklich fest, daft die grundlegende Ursache fiir die Drohung gegen das Studium des römischen Rechts eine berechtigte Unzufriedenheit mit der Art der Naturrechtslehrer war, das wissenschaftliche Systemdes Rechts mit römischen Rechtssätzen auszuftillen. Bereits während des Schuljahres 1802—03 hatte Savigny in der sog. Marburger Methodenlehre hervorgehoben, dafi die philosophische Rechtserkenntnis — die Naturrechtslehre — in der Praxis »römische Wahrheiten nur abstrakter auf/stellen/ und glauben, sie dann durch Philosophie gefunden zu haben".^^ Dies war aber mit der ganzen römischrechthchen Erbschaft nicht der Siehe Sandström, Marie, Die Herrschaft der Rechtswissenschaft, Lund 1989, S. 233 Fn. 112. ” von Savigny, Friedrich Carl, Vom Beruf unserer Zeit fiir Gesetzgebung und Rechtswissenschaft. Neudruck nach der 3. Aufl., Freiburg am Breisgau 1892, S. 16. von Savigny, Friedrich Carl, Juristische Methodenlehre, Hrsg. Wesenberg, Stuttgart 1951, S. 49.

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