Claes Peterson 146 Dieser Lehre lag die Auffassung zugrunde, daf5 auch die Objektwelt in zwei entgegengesetzte Bereiche aufgeteilt war. Der eine Bereich bestand aus Dingen an sich oder Wesen, die nur imDenken erfafit werden konnten. Die Dinge an sich waren von Zeit und Raumnicht beeinflul^bar, sondern waren unveranderlich und ewig. Der andere Bereich stellte sinnlich erfal^bare Dingen dar, die Zeit und Raum unterworfen und folglich mit begrenzter Lebensdauer veränderlich waren. Wenn der Erkenntnis eine wissenschaftliche Qualität zuerkannt werden sollte, mufite sie sich gemäfi der Wesensmetaphysik auf das Wesen des Dinges einrichten. Demnach war wissenschaftliche Tätigkeit dasselbe wie Wesensanalyse. Die wesensmetaphysische Wissenschaftslehre prägte das Rechtsstudium bis zumEnde des 18. Jahrhunderts. Auf demGebiet des Rechts stellte das Naturrecht das Wesen dar, während das positive Recht sein sinnlicher Ausdruck war. Laut dieser naturrechtlichen Tradition war es die Aufgabe der Rechtswissenschaft, hinter dem zeitlich und räumlich veränderlichen positiven Recht die wahre Essenz des Rechts zu finden. Das ist ein fur immer geltendes, absolutes Naturrecht, das die Einheit des positiven Rechts garantierte. 1. Das Naturrecht als das Wesen des positiven Rechts Das Naturrecht macht die iibersinnliche Formoder das Wesen des Rechts aus. Es hat seinen zureichenden Grund (ratio sufficiens) in der Natur des Menschen und der Dinge.^ In seiner Eigenschaft als höchste Einheit des Rechts ist das Naturrecht absolut, d. h. es ist nicht abhängig von etwas anderem und somit unveränderlich und notwendig. Folgendermafien stellt Christian Wolff fest „Quoniam lex naturae rationem sufficientem in ipsa hominis rerumque natura habet, ideoque obligationem naturalem continet, haec autem immutabilis & necessaria est, lex etiamnaturae immutabilis & necessaria est.“'’ Die Natur des Rechts, die der Ausgangspunkt fur alle wechselnden Ausdriicke in den verschiedenen positiven Rechtsordnungen ist, ist in den Wesen des Menschen und der Dinge begriindet. Das Naturrecht ist deshalb unveränderlich und gilt fiir alle Völker und alle Zeiten. Niemand kann sich von der Verpflichtung freisprechen, die die Natur dem Menschen auferlegt. Auf seinem eigenen Niveau — den Domänen des Rechts — stellt das Naturrecht die höchste Einheit dar, die alles sonstige Recht hervorbringt. Die Naturrechtslehre ist das Ergebnis der mehr oder weniger ungeniigenden Fähigkeit der Vernunft, das Niveau der positiven Rechtslehre zu iiberschreiten und Einsicht in die wahre Uber den erkenntnistheoretischen Hintergrund der Naturrechtslehre siehe Claes Peterson, Rechtsvereinheitlichung durch Naturrecht? Zur Frage des Naturrechts in der schulphilosophischen Rechtstheorie des 18. Jahrhunderts, in Quaderni Fiorentini per la Storia del Pensiero Giuridico Moderno 21 (1992), S. 7-35. ■* Wolff, C., Institutiones Juris Naturae et Gentium, Halle 1763, § 40.
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