138 HeinzMohnhaupt “Keine, schlechterdings keine Autorität, habe ich der Litteratur eingeräumt, und deren Pflicht und Beruf einzig und allein darauf beschränkt, ein Hiilfsmittel fur das, so weit es iiberhaupt möglich ist, auch dem Richter obliegende Verstandniss der Quellen zu sein. Die Doktrin argumentiert tiberwiegend nach der von Puchta vorgegebenen Linie, wenn auch uneinheitlich und nicht konsequent, nachdem noch Thibaut sich eindeutig fiir die „vis legis“ des Gerichtsgebrauchs ausgesprochen hatte. Auch bei ihmbilden »Dunkelheit und Diirftigkeit unserer Gesetze“ erkennbar den Grund, der Praxis eine regelbildende Leitungsfunktion zuzusprechen. Vorsichtiger reihen Miihlenbruch und Wächter die Rechtsprechung unter die vom Richter zu beachtenden „Autoritäten“ ein, ohne sie freilich in den Rang eines Gesetzes zu heben. Regelsberger sieht angesichts der Flut lösungsbediirftiger „neuentstandener Lebensformen" die Jurisprudenz als eine Rechtsquelle, die „Rechtssätze minderen Grades erzeugt.“’’° Er betont, dal? Richter und Wissenschaft „fur die vom Gesetzgeber nicht geregelten Tatbestände Normen aufstellen".’’’ Als Beispiele dafiir benennt er 1893 den Telefonbetrieb, die Postanweisung, die Riickversicherung und die Abzahlungsgeschäfte.'-- „Gleichförmigkeit der Rechtsprechung” macht in diesem Zusammenhang fur ihn das nicht näher definierte „äul?ere Gewicht” dieser Urteile aus.'^^ Dernburg hingegen erklärt eindeutig: „Der Gerichtsgebrauch hat Gesetzeskraft wie das Gewohnheitsrecht.”*^"* Zugleich hält er aber dessen „Autorität“ fiir leichter zu erschiittern als die eines Gesetzes.Auch Windscheid erkennt ein dutch „die Uebung der Juristen, welche in Urtheilen und Rechtsgutachten gewisse Normen zur Anwendung bringen (Praxis, Gerichtsgebrauch)”, entwickeltes Gewohnheitsrecht an.'^^ In genauer Beobachtung der richterlichen Praxis zur Willenserklärung erklärt er zu diesem „Werden des Gewohnheitsrechts” dutch den Richter: „Bleibt sein Vorgehen nicht vereinzelt und folgen andere Richter dem gleichen Drange, so ist das Gewohnheitsrecht fertig.”'“^ Demso gebildeKritz, Literatur (Anm. 113), p. 201. A. F.J. Thibaut, Systemdes Pandekten-Rechts I, Jena 1803, p. 31 (§ 16). Cf. A. F. J. Thibaut, Vertheidigung der Praxis gegen manche neuen Theorien, in: Archiv fiir die civilistische Praxis 5 (1822), p. 316. C. F. Miihlenbruch, Lehrbuch des Pandekten-Rechts I, Halle 1835, pp. 104 s. Wachter, Beitrag zu der Lehre vom Gerichtsgebrauche, in: Archiv tiir die Civilistische Praxis 23 (1840), p. 445. F. Regelsberger, Pandekten I, Leipzig 1893, p. 88. Regelsberger, Pandekten (Anm. 120), p. 87. Wie Anm. 121. Ebenso spricht auch O. Billow, Gesetz und Richteramt, Leipzig 1885, p. 31, in diesemZusammenhang von den „vielen neuen Rechtsnormirungsaufgaben". Regelsberger, Pandekten (Anm. 120), p. 108. H. Dernburg, Pandekten I, 6. Auflage, Berlin 1900, p. 62. Dernburg, Pandekten (Anm. 124), p. 64. B. Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts I, 6. Auflage, Frankfurt a. M. 1887, p. 49. B. Windscheid, Wille und Willenserklärung, in: Archiv fiir die Civilistische Praxis 63 (1880), “115 117 118 120
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