135 Rechtseinheit durchrechtsprechung? - „die unter den Rechtslehrern zur Zeit herrschenden Ansichten in die gleichzeitigen Erkenntnisse der Gerichte ubergingen.“^^ Andererseits erlaubte es das mobile und flexible Rechtsquellensystem davon zu sprechen, daft auch die Obergerichte „den Rechtslehrern und Schriftstellern immer zur Seite stehen“, und es gait als „ein giinstiges Zeichen der Zeit, daft auf die Sammlungen ihrer Präjudicate jetzt auch im Interesse des gemeinen Rechts ein grösseres Gewicht gelegt wird“.^^ Gesetzgebung, Rechtsprechung und Rechtswissenschaft waren keine unabhängigen Gröl^en, wie die umstrittene Rangstelle der Judikatur und Doktrin immer wieder belegt.^^ Gesetzliche Bestimmungen iiber die Präjudizieneigenschaft der Urteile sind immer wieder in die Rechtsprechungssammlungen und in die partikularrechtlichen Lehrbiicher mit aufgenommen worden. Das Ziel, Entscheidungen in Streitfragen verbindlich zu machen, sollte selbst dann gelten, wenn die dadurch festgestellten Rechtssätze sich „nach neueren wissenschaftlichen Forschungen als unrichtig darstellen“.^*^ Das Prinzip und Ziel der „Herbeyfuhrung von Rechtssicherheit und Rechtseinheit“^^ war jedoch gar nicht selten von der Rechtsprechung dem Richtigkeitsprinzip, das vor allem von Puchta und Savigny vertreten worden war, vorangestellt worden.Savigny hat dieser Haltung auch nachdriicklich widersprochen.'°' Die Präjudizwirkung wird jedoch in den einzelnen Gerichtsbarkeiten sehr unterschiedlich gefordert und bejaht. Sie ist im Bereich des Privatrechts viel öfter behandelt und anzutreffen als im Gebiet des Strafrechts. Auch das ist eine Folge der unterschiedlichen Gesetzgebungen und ihrer Qualität. Mit dem seit Beginn des 19. Jahrhunderts enttäuschten Glauben an die Allmacht der alle Probleme lösenden Kodifikation ergingen zahlreiche Gesetze, die die konstante und einheitliche Rechtsprechung im Wege bindender Präjudizien sichern sollten.'°^ Die Kette solcher Regelungen reicht von Preufien Roth/Meibohm, Kurhessisches Privatrecht (Anm. 91), p. 98. So F. Bluhme, Uebersicht der in Deutschland geltenden Rechtsquellen (Encyclopaedie der in Deutschland geltenden Rechte, 1. Abteilung), Bonn 1854, pp. 133 s. Cf. den bezeichnenden Titel von N. Th. Conner, Vorschlag einer Sammlung aller wichtigen Urteile besonders von Obergerichten, als Mittel zur Vervollkommnung der Gesetze. Ein Beitrag iiber das Verhältnifi der Jurisprudence zur Doctrin und Legislation, in: Archiv fiir die Gesetzgebung und Reforme des juristischen Studiums von N. Th. Conner, 3. Band, Landshut 1810, (bes. pp. 205 ss.). Roth/Meibohm, Kurhessisches Privatrecht (Anm. 91), p. 100. So das erklarte Ziel des bayerischen „Präjudicien-Gesetzes“ vom 17. 11. 1837, in: H. A. Moritz (ed.), Sammlung sämmtlicher Plenar-Beschliisse des Oberappellationsgerichts des Königreichs Bayern . . . (Sammlung der oberstrichterlichen Plenar-Beschliisse ... I), Miinchen 1853, pp. 3 s. Cf. die Nachweise bei Roth/Meibohm, Kurhessisches Privatrecht (Anm. 91), p. 102. F. C. vctn Savigny, System des heutigen römischen Rechts I, Berlin 1840, pp. 96 s.; cf. auch 100 101 unten. Cf. dazu Ogorek, Richterkönig (Anm. 55), pp. 192-196; H. Weller, Die Bedeutung der Prajudizien im Verstandnis der deutschen Rechtswissenschaft. Ein rechtshistorischer Beitrag zur Entstehung und Funktion der Prajudizientheorie (Schriften zur Rechtstheorie 77), pp. 82-89. 102 10
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