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Heinz Mohnhaupt 134 durfen also keine Geheimnisse fiir die Partheien haben, wenn sie auf öffentliches Vertrauen Anspruch machen wollen. Der Staatsbiirger tritt nunmehr auch als Rechtsprechungsbiirger in Erscheinung, dem der freie Zugang zum Gericht durch die Rechtssprechungspublizität erleichtert werden soli, um ihm dadurch auch eine Abschätzung iiber die Erfolgsaussichten gerichtlicher Konfliktlösungen zu ermöglichen. Darin oftenbart sich auch eine verfassungsrechtliche Komponente der Rechtsprechung im Konstitutionalismus des 19. Jahrhunderts. Die interne Funktion der Rechtsprechungssammlungen zielte jedoch auf eine Publizität der Urteile, die deren „Gleichförmigkeit“ und Einheitlichkeit zu sichern versuchte. Selbst in amtlichen Verlautbarungen zu den Urteilspublikationen wurde auf diesen „Nutzen einer öffentlichen Bekanntmachung der oberhofgerichtlichen Entscheidungen“ hingewiesen, dafi diese nämlich „mehr Gleichförmigkeit in der ganzen Rechtsverwaltung bewirken . . . und selbst zur Fortbildung der Rechtswissenschaft und Gesetzgebung manchen ntitzlichen Stoff liefern wiirde. Wert und einheitsstiftende Funktion der Urteile waren vorrangig nur iiber die Urteilsgriinde zu bestimmen. Zahlreiche deutsche Landesgesetze haben ab 1816 eine solche Begriindungspflicht fiir Gerichte einzelner Territorien vorgeschrieben. In Hessen z. B. ist 1816 die Vorschrift ergangen, alle Erkenntnisse in biirgerlichen Rechtssachen mit Entscheidungsgriinden zu versehen.‘^' In Bayern geschah dies erstmals durch die Verfassung vom 1. Mai 1808,“^’ in Sachsen durch die Verfassungsurkunde vom4. September 1831.^-’ In Hannover wurden 1838 alle Entscheidungen des Oberappellationsgerichts durch die Gesetzessammlung zur „allgemeinen Kenntnis gebracht“ und diesen damit eine gesetzesähnliche Eigenschaft zugesprochen.^"* Daneben sollten die Griinde jedoch auch dem Gesetzgeber als Anleitung zur Beseitigung der Gesetzesmängel dienen. Umgekehrt erhielt die Rechtswissenschaft „durch die Ausspriiche der Gerichte" einen mittelbaren EinfluE auf die Rechtsbildung, indem“ — wie Roth und Maibohm 1858 fiir das kurhessische Privatrecht betonen «89 «90 J. Kurzrock, Aphorismen iiber burgerliche Gesetzgebung und Rechtspflege. Aus den Papieren des Verfassers von Welt und Zeit, Stuttgart 1826, pp. 196 s. So der Beschluk es badischcn „gro(lherzoglichen obersten Justizdepartements" vom 29. 11. 1823, in; Hohnhorst (ed.), Jahrbiicher des Grofiherzoglich Badischen Ober-Hofgerichts zu Mannheim I (1823), Mannheim 1824, p. 9. So die Verordnung vom 19. 11. 1816, die es zur Pflicht macht, „alle Erkenntnisse in burgerlichen Rechtssachen mit Entscheidungsgriinden zu versehen". Cf. P. Roth und V. von Meibohm, Kurhessisches Privatrecht I, Marburg 1858, p. 102 n. 15. ’’ 5. Titel, § 2, in: Pölitz, Die Constitutionen der europäischen Staaten . . ., 2. Theil, Leipzig und Altenburg 1817, p. 140. V. Abschnitt: Von der Rechtspflege, § 46, in: F. Stoerk (ed.) Handbuch der Deutschen Verfassungen, Miinchen und Leipzig 1913, p. 329. O. Rudorff, Das hannoversche Privatrecht. Eine systematische Zusammenstellung . . . unter Beriicksichtigung der hannoverschen Rechtsprechung und Litteratur, Hannover 1884, p. 7 (Art. 2).

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