Hf.inz Mohnhaupt 122 II Die Debatte iiber Rechtspartikularismus und Rechtseinheit fiihrt zuriick zur Vernunftrechtsliteratur der Aufklärung im späten 18. Jahrhundert und zu ihremKernbegriff der Gleichheit bzw. der „égalité“.^' Hinter demGleichheitspostulat, das auch der Monopolisierung und Zentralisierung furstlich-staatlicher Gewalt diente und damit erst generalisierende Gesetzgebung imAbsolutismus möglich machte,^‘ standen auch die Bediirfnisse von Wirtschaft, Handel und Verkehr: „Un Roy, une loi, un poids et une mésure“ waren beispielhaft wiederkehrende Forderungen in den französischen „Cahiers de doléances“.^^ Die andere StoErichtung zielte auf die Beseitigung der spätfeudalen Ständegesellschaft und damit sowohl gegen territoriales, regionales „ius particulare“ und privilegierendes „ius singulare". Aber auch die Spätaufklärung kannte nicht nur die Gleichheit als oberstes Gesetz der Vernunft, sondern auch die der Gleichheit entgegenstehende Vielfalt als Garanten der Freiheit. Bereits Blaise Pascal machte sich iiber die „plaisante justice" lustig, die durch ein Ufer oder einen Berg begrenzt werde und diesseits der Pyrenäen Wahrheit, jenseits jedoch Irrtumbedeute.-’"* Diese Abhängigkeit der Gesetzgebung und Staatsverfassung vom Einflufi des Klimas und der Landesbeschaffenheit — nämlich der »physique du pays“^^ — hatte 1748 Montesquieu zu einer gleichsam legislatorischen Milieu-Theorie ausgebaut,^^ die zur Relativierung der Vernunftrechtsgrundsätze von Gleichheit und Freiheit und zur Beachtung und Bewahrung lokaler und partikularer Sonderrechte fiihren konnte.^^ Von den radikalen Vertretern des Prinzips der Rechtsgleichheit und Rechtseinheit wurde diese Position daher immer wieder angegriffen.^^ Voltaire ironisierte diese Haltung Cf. Mohnhaupt, Untersuchungen (Anm. 15), pp. 91, 111 ss.; Hofmann, Postulat (Anm. 29), pp. 19 s. H. Mohnhaupt, Potestas legislatoria und Gesetzesbegriff im Ancien Regime, in: lus commune 4 (1972), pp. 188-239; P. Krause, Naturrecht und Kodifikation, in: Vernunftrecht und Rechtsreform (Aufklärung 3), Hamburg 1988, pp. 17, 25; cf. auch zum Gleichheitsgebot als Emanzipationsbegriff: O. Dann, Gleichheit und Gleichberchtigung . . . (Historische Forschungen 16), Berlin 1980. W. Kula, Les mesures et les hommes, Paris 1984, pp. 170—210. ’■* B. Pascal, Pensées I. Edition presentée . . . par M. Le Guern, Paris 1977, Fragment 56, p. 87: „Un méridien décide de la vérité. En peu d’années de possession, les lois fondamentales changent, le droit a ses époques, 1’entrée de Saturne au Lion nous marque I’origine d’un tel crime. Plaisante justice qu’une riviere borne! Vérité au-dei,'ä des Pyrénées, erreur au-delä.“ Montesquieu, De I’Esprit des Lois, Geneve 1748, Livre I, Chap. 3. Cf. H. Mohnhaupt, Montesquieu und die legislatorische Milieu-Theorie wahrend der Aufklärungszeit in Deutschland, in: G. Lingelbach u. H. Liick (ed.), Deutsches Recht zwischen Sachsenspiegel und Aufklärung. Rolf Lieberwirth zum 70. Geburtstag (Rechtshistorische Reihe 80), Frankfurt a. M. (u. a.) 1991, pp. 177-191. Cf. W. Wilhelm, Gesetzgebung und Kodifikation in Frankreich im 17. und 18. Jahrhundert, in: lus commune 1 (1967), pp. 253-257; Mohnhaupt, Untersuchungen (Anm. 15), p. 106. Mohnhaupt, Montesquieu (Anm. 36), pp. 182 s., 190; J. Schroder, Zur Vorgeschichte dcr
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