Heinz Mohneiaupt 120 Rechtseinheit zugleich auf mehrere disziplinär bestimmte Rechtsgebiete erstrecken, wie sie z. B. im 19. Jahrhundert Thibaut mit der Kodifikation des Privatrechts, Prozefirechts und Strafrechts forderte,'^ während Savigny dagegen in seiner beruhmten Gegenschrift die Kodifikationsfrage nur in bezug auf das Privatrecht sah und behandelte mit der bekannten Konsequenz, die unifizierende Arbeit allein der Rechtswissenschaft zuzuweisen.“° Dementsprechend waren ftir ihn auch Gerichtseinheit — als eine der wichtigsten Voraussetzungen fiir einheitliche Rechtsbildung —und Verfassungseinheit kein Thema. Die historische Erfahrung des 19. Jahrhunderts zeigt jedoch, dafi die politische Einheit oft vor der rechtlichen Einheit entstanden ist und jene erst in Gang zu setzen versuchte. Das dokumentiert gerade heute wieder die Diskussion liber das politisch und wirtschaftlich demnächst geeinte Europa und die daraus entstehenden Konsequenzen fiir die Einheit seines Rechts. Weder im alten deutschen Reich bis 1806 noch imKaiserreich bis 1900 bestand eine Dekkungsgleichheit zwischen politischem Staatsgebiet und den einzelnen Rechtsgeltungsgebieten.^- Der aus dem 18. Jahrhundert iiberkommene Rechtsquellenpartikularismus bestand noch im 19. Jahrhundert fort. In den 25 Bundesstaaten des 1871 gegriindeten Reiches befanden sich allein 7 gegenseitig abgeschlossene Privatrechtsgebiete mit preufiischem, französischem, gemeinem, sächsischem, dänischem, friesischem Recht und dem „Jutisch Low“. Allein in PreuEen galten 6 unterschiedliche Rechtsquellengattungen. Das „Allgemeine Landrecht fiir die preul^ischen Staaten" gait seinerseits vor 1900 in 3 (PreuBen, Teile Bayerns und Sachsen-Weimars), das französische Recht in 6 und das gemeine Recht sogar in 23 Bundesstaaten des deutschen Reichs. AuBerdem galten z. B. zusätzlich in den Gebieten des gemeinen Rechts unter anderen noch 30 wichtigere Partikularrechte und im Geltungsbereich des ALRweitere 16 Partikularrechte.Auch nach der Einfiihrung des BGB am 1. Januar 1900 A. F. J. Thibaut, Ueber die Nothwendigkeit eines allgemeinen biirgerlichen Rechts fiir Deutschland, Heidelberg 1814, in: J. Stern (ed.), Thibaut und Savigny. Ein programmatischer Rechtsstreit . . ., Darmstadt 1959, p. 41. Cf. F. C. von Savignv, Vom Beruf unserer Zeit fur Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, Heidelberg 1814, in: Stern, Thibaut und Savigny (Anm. 19), pp. 78, 136 ss. ’’ Das wird besonders kritisch hervorgehoben von H. Brunner, Die Rechtseinheit (Festrede am 22. März 1877), in: H. Brunner, Abhandlungen zur Rechtsgeschichte. Gesammelte Aufsätze, ed. K. Rauch, Band II, Weimar 1931, pp. 373 und 362 s. Cf. H. Mohnhaupt, Rechtliche Instrumente der Raumbeherrschung, in: lus commune 14 (1987), p. 168. Cf. die Ubersicht fiber die in Deutschland Ende des 19. Jahrhunderts geltenden Rechte und Gesetze in: Denkschrift zum Entwurf eines Biirgerlichen Gesetzbuchs nebst drei Anlagen. Dem Reichstage vorgelegt in der vierten Session . . ., 3. Aufl., Berlin 1896, pp. 430-454; P. R. v. Roth, System des Deutschen Privatrechts, 1. Theil, Tubingen 1880, p. 1 ss.; B. Dölemeyer, Kodifikationen und Projekte: Das Biirgerliche Gesetzbuch (1896/1900), in: Going (ed.), Handbuch III 2, Mfinchen 1982, p. 1575. Zu Roths Auffassung fiber die Frage rechtsvereinheitlichender Kodifikation und Bewahrung der Partikularrechte cf. grundlegend St. Gagnér, Zielsetzungen und Wertcge-
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