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91 einer ökonomischen Lage. Der Schutz von Freiheit und Eigentum, die Gewerbefreiheit und die Bodenfreiheit zielen auf ein neues Leitbild der Ökonomie. Es beruhte auf der Prämisse, „dal$ die Gesellschaft iiber natiirliche Selbststeuerungsmechanismen verfiigt, die automatisch zu Wohlstand und Gerechtigkeit fiihren, wenn sie nur ungehindert zumZuge kommen können. Der Musterfall dieser Selbststeuerungsmechanismen ist der Markt“.“^ Damit der Markt funktioniert, mufi der Staat nur noch die Rahmenbedingungen schaffen, d.h. den Frieden sichern und Rechtsschutz garantieren. Im iibrigen soil das freie Spiel der Kräfte garantieren, dal? das Gemeinwohl entsteht. An die Stelle der sichtbaren Hand des merkantilistischen Staates sollte so die „unsichtbare Hand“ des Marktmechanismus treten. 5. In Parallele hierzu werden auch andere gesellschaftliche Sektoren in die Autonomie entlassen. Das Individuum folgt „seiner“ Privat-Religion, spricht seine „private“ Meinung aus, ergreift den Beruf „seiner Neigung“ und verfolgt „gemeinschaftliche“ Zwecke durch einen Verein usw., d.h. diese Sektoren werden nicht nur autonom, auch der Bezugspunkt ändert sich: Nicht mehr das patriarchalisch gefuhrte „ganze Haus“ [OttoBrunner] wie im Ancien Régime, sondern das freie Individuum entscheidet — und nur deshalb kann auch die Konstruktion individualrechtlich verstandener Grundrechte funktionieren. 6. Dadurch, dal? die modernen Verfassungen tendenziell alle Schranken des Ständewesens beseitigen, soziale, ökonomische und politische Gleichheit einfiihren und grundrechtlich sichern sowie eine prinzipielle Differenz zwischen Staat und Gesellschaft festlegen, zeigen sie deutlich, wo die Trennungslinie zumAncien Régime liegt. Der Staat ist nicht mehr die alte umfassende Respublica, sondern ein rechtlich geordneter Sektor mit begrenzten Aufgaben. Fiir den Historiker ist klar, dal? sich diese hier typisierten Vorgänge stufenweise und mit zeitlichen und regionalen Brechungen vollzogen haben. Uberspitzt ausgedriickt: ImDetail ist alles ganz änders! Dennoch läl?t sich die skizzierte Linie bis etwa 1850 gut belegen. Danach riicken Industrialisierung und soziale Frage nach vorne, der Interventionsstaat drängt den Liberalismus wieder beiseite, und es kommt zur Ausbildung des modernen Parteien- und Verbändewesens. Der Staat erhält wieder die Gesamtverantwortung fiir die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse, die ihm in der Zeit der »biirgerlichen Revolution" gerade abgesprochen worden war. Deshalb gibt es auch deutliche Verwandtschaften zwischen dem Wohlfahrtsstaat des 18. und dem des 20. Jahrhunderts.'^ Notwendigerweise mul?ten sich in diesem Kontext auch die „Verfassungsideale“ ändern. Aber das ist ein anderes Thema. ’’ D. Grimm, Deutsche Verfassungsgeschichte 1776—1866, 1988, 27. M. Stolleis, Die Entstehung des Interventionsst.i.'ites und das öffentliche Recht, in: Zeitschr. f. Neuere Rechtsgeschichtc 1989, Heft 2/3.

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