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90 tiven, die - trotz sinkender politischer Bedeutung - ihre Position im Herrenhaus bis 1917 bewahren konnten, sind hierfur das beste Beispiel. Versucht man, die sehr komplexen historischen Beobachtungen des Jahrhunderts zwischen 1750 und 1850 auf einer abstrakteren Ebene zusammenzufassen, dann geht dabei einerseits viel historische Farbe und Individualität verloren, andererseits bietet sich die Chance, verfassungsrechtliche Gemeinsamkeiten zu erkennen, die leicht iibersehen werden, wenn das Detail dominiert. 1. Das welthistorischeJahr 1789 markiert den Bruch mit demAncien Régime. Insofern ist es tatsächlich in seiner Bedeutung kaum zu iiberschätzen. Akzentuiert man aber dieses Jahr zu stark, dann verdeckt man, daft die friihe „Verfassungsbewegung“ schon um 1750 beginnt und iiber das Jahr 1789 hinweg bis mindestens 1848 reicht. Die das Jahrhundert von 1750 bis 1850 prägende Kontinuität ist die der biirgerlichen Emanzipation zwischen Ancien Régime und Industrieller Revolution. 2. Die „Verfassungsideale“ dieser Epoche haben ihre älteren Wurzeln in der Lehre von der Bindung des Herrschers an göttliches Recht, Naturrecht und an die „leges fundamentales“.^' Gerade diese Fundamental- oder Grundgesetze sind direkte Vorformen der modernen „Verfassungen“, aber der entscheidende Unterschied liegt darin, dal? sie die monarchische Gewalt als legitimvoraussetzen und nur herrschaftsbegrenzend wirken, wahrend moderne Verfassungen herrschaftsbegriindenden Charakter haben. Herrschaftsbegriindend sind sie, weil inzwischen die naturrechtliche Figur des Gesellschaftsvertrages die ältere sakrale Herrschaftslegitimation abgelöst hatte. Der Vertrag setzt Gleichrangigkeit der Partner voraus und er operiert typisch neuzeitlich mit (fiktiven) rationalen Willenserklärungen. Insofern ist auch das Naturrechtsdenken des 18. Jahrhunderts notwendige Voraussetzung fiir die Verfassungsbewegung des 19. Jahrhunderts, weil es die sakralen Grundlagen der Herrschaftslegitimation zerstörte. 3. „Verfassungsideale“ sind vor allem die Grundrechte. Sie entstehen dort, wo Individuen und Gruppen mit der herrschenden Ordnung unzufrieden sind und versuchen, rechtlich geschiitzte Freiräume gegeniiber der Staatsgewalt durchzusetzen. So werden die Religions- und Gewissensfreiheit, die Meinungs- und Pressefreiheit, die Auswanderungsfreiheit, die Gewerbefreiheit, die Bodenfreiheit, die Freiheit vor staatlicher Willkiir und Rechtsschutz (rule of law, nulla poena sine lege), Gleichheit der Staatsbiirger bei Steuerlast und Wehrpflicht stufenweise entwickelt, zu Katalogen zusammengefaBt, bis sie schlieBlich in die Grundrechtsteile der Verfassungen eingehen. Auch dieser Prozel? reicht von der Mitte des 18. Jahrhunderts bis in das 20. Jahrhundert. 4. Die „Verfassungsideale der biirgerlichen Revolution" sind z.T. Ausdruck R. Vierhaus (Hg.), Herrschaftsverträge, Wahlkapitulationen, Fundamentalgesetze, Göttingen 1977; H. Mohnhaupt, Die Lehre von der „Lex Fundamentalis“ und die Hausgesetzgebung der Europäischen Dynastien, in: J. Kunisch (Hg.), Der dynastische Furstenstaat, Berlin 1982, 3-33.

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