80 sche Macht unterwirft sich (wenigstens verbal) der Verfassung, der Weg an die politische Spitze fiihrt nur iiber die Verfassung, und die Gerichte kontrollieren sehr detailliert die „Verfassungsmäl?igkeit“ staatlichen Handelns. Die Grundrechte sind zu Selbstverständlichkeiten geworden, man versteht sie als Rechtspositionen. Dafi sie auch einmal politische Appelle und Ideale waren, ist fast vergessen. Die Verfassung, speziell in der Bundesrepublik Deutschland, ist heute die zentralejuristische Kodifikation, kaumjedoch zentraler Text der politischen Kultur. Politische Probleme werden fast immer in Rechtsprobleme iibersetzt, um dem politischen Gegner die schlimmste Siinde vorwerfen zu können, die „Verfassungswidrigkeit“. Wer keine politischen Antworten mehr weiB oder dem politischen Kampf ausweichen will, droht mit dem Gang zum Bundesverfassungsgericht nach Karlsruhe. Dieses Verhalten wird in der Bundesrepublik zunehmend kritisiert, und mit Recht. Aber die darin sichtbar werdende Entwicklung zur „Verrechtlichung“ und zur „Entpolitisierung“ der Verfassung ist ein allgemeines Problemwestlicher Verfassungsstaaten. Uberall läfit sich beobachten, daft die Rechtsfunktion stärker und die politische Appellfunktion der Verfassungen schwächer geworden ist. Vielleicht ist es wirklich so: Die alten Ziele des „Dritten Standes“ sind längst erfiillt und zumBesitz aller Menschen geworden, die friiheren politischen Kämpfe sind nur noch Erinnerung, die Verfassung ist nicht mehr die „heilige Urkunde" des politischen Konsenses, sondern nur ein speziell qualifiziertes Gesetz, aus dem der Burger seine Anspriiche ableiten und mit der er seine Freiheit sichern kann. Wenn diese Beobachtung richtig ist, dann könnte wirklich jene Epoche zu Ende gehen, in der die „Verfassung“ den zentralen Punkt des staatlichen Lebens darstellte. Diese Prognose könnte vielleicht den Verfassungsrechtler beunruhigen; fiir den Historiker ist es ein normaler Vorgang von „rise and decline“. Die Idee der Verfassung ist aus bestimmten historischen Griinden geboren worden und hatte ihre Konjunktur vor allem im 19. Jahrhundert. Ebenso könnte sie aus historischen Griinden wieder an Kurs verlieren und in den Hintergrund treten, jedenfalls solange ruhige und freiheitliche Verhältnisse herrschen. 1. Der Absolutismus, die notwendige Vorstufe Die Entstehung eines festen Katalogs von „Leitbildern“ oder „Verfassungsidealen" hat sich im Absolutismus vollzogen. Die biirgerlichen Verfassungen waren Reaktionen auf den absolutistischen Staat. Alle ihre Forderungen und „Ideale“ setzten voraus, dafi im Absolutismus entsprechende Defizite bestanden. Uber die Verfassungsideale der biirgerlichen Revolution zu sprechen, heil^t deshalb, tiber den Absolutismus zu sprechen, auch wenn er nicht uberall in gleicher Perfektion geherrscht hat. „Absolutismus" ist bekanntlich eine vage Abkiirzung fiir sehr unterschiedliche Regierungsformen, wie sie sich mEuropa
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