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167 ordnungen der europäischen Vergangenheit und rezenter aufiereuropäischer Kulturen. Ähnliches gilt fiir einen weiteren Kreis von Vorstellungen innerhalb derartiger Rechtskulturen iiber die ,,Gegenwart der Toten” und die Teilhabe anderer „Rechtssubjekte” an der Bedeutung von Rechtssymbol und Ritual oder beispielsweise in den ethnosoziologischen Modellen der Reziprozität und der „Rang-Gesellschaft” als eines Denkmodells, das der Gleichheitsfiktion älterer Germanistik ebenso entraten kann wie eine Ubertragung der späteren verfestigten Formen der Ständeordnung auf friihere Gesellschaftzustände. Die Reihe derartiger möglicher Anregungen liefie sich in mannigfacher Hinsicht fortsetzen, beispielsweise in Hinblick auf die Auswirkungen eines nicht kausalen Natur- und Gesellschaftsverständnisses auf die Rechtsauffassungen und die Funktionsweise des Rechts. Vorrangig schien es aber demgegeniiber zunächst, einige Voraussetzungen und damit auch einige Grenzlinien derartiger Bezugnahme germanistischer Rechtsgeschichte auf rechtsethnologische Forschungen zu bedenken. Derartige Ausgangsiiberlegungen scheinen nach zwei Seiten hin erforderlich. In der einen Richtung wendet sich die Stellungnahme fiir den Nutzen einer Auseinandersetzung mit der Rechtsethnologie zuvorderst gegen den historischen Objektivismus innerhalb der Germanistik, der Begrifflichkeit und Fragestellungen allein dem ,,Gegenstand” selbst zu entnehmen glaubt und deshalb dazu neigt, auf historiographische Verständnishilfen aus dem Arsenal moderner Wissenschaften (sei es der Philosophie, Rechtstheorie, Soziologie oder eben der Ethnologie) ganz zu verzichten. Diese Stellungnahme richtete sich zugleich dagegen, mit der Abkehr von dieser ,,objektivistischen” Konzeption das Bemiihen um eine Annäherung an die uns nur unzulänglich zugänglichen älteren Denkformen iiber Recht grundsätzlich fiir fruchtlos zu halten und sich auf die ideologiekritische Wiirdigung der friiheren Verständnisversuche zuriickzuziehen. Fragestellungen und Ergebnisse der Rechtsethnologie erschienen demgegeniiber als eine mögliche Bereicherung unseres Vorstellungskreises und unseres „Hypothesenvorrates” iiber das Recht aul^erhalb unserer modernen Kultur auch in Hinblick auf den Arbeitsbereich der Germanistik. Auf der anderen Seite galt es von vornherein, möglichen Mifiverständnissen und Mifibräuchen des Bezuges auf die Ethnologie im Rahmen rechtshistorischer Forschung Schranken zu setzen. Denn die Gefahr ist nicht von der Hand zu weisen, dafi die an sich förderliche Zuwendung von Historiographic und Jurisprudenz zur Rechtsethnologie iiberlagert wird von modischen Strömungen mythischer Geschichts- und Gegenwartsbetrachtung auf vermeintlich ethnologischer Grundlage. Dies gilt um so mehr, als die Grenzen zwischen Fachwissenschaft, empirischer Beobachtung und geistvoller Spekulation aufierhalb des fachwissenschaftlichen Kontextes und schlichtem Dilettantismus — oder gar Scharlatanerie - auf wenigen Forschungsgebieten so flieftend sind wie in der

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