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166 zuriick auf das friihneuzeitliche Völkerrecht und insbesondere das ,,sakulare” Naturrecht des 17. und 18. Jahrhunderts. Denn die spekulative Axiomatik des Rechtsdenkens jener Zeit suchte ihre Bestätigung nicht nur in der Einbeziehung empirischer Betrachtungen gegenwärtiger und vergangener Rechtszustände in Europa, sondern wandte sich aufgrund ihres Universalitatsanspruchs auch den Rechtserscheinungen auswärtiger Kulturkreise zu. Neben die Beschäftigung mit dem jeweiligen einheimischen Recht und der Geschichte des europäischen Rechts (germanischer und römischer Provenienz) und neben die Staatenkunde (Statistik) trat so das Interesse an den Rechtsverhältnissen in zeitgenössischen fremden Kulturkreisen imRahmen des Völkerrechts und des Naturrechts. Wenn beispielsweise die rechtliche Ausgestaltung und schliefilich die Existenzberechtigung des Lehenswesens in Europa in Frage stand, lenkte das Universalitätsdenken des Naturrechts die Aufmerksamkeit auf vergleichbar erscheinende Verhältnisse in anderen Kulturkreisen - auf die tatsächlichen oder vermeintlichen Lehensbindungen etwa in der Tiirkei oder inJapan. Gegeniiber diesen friihen Ansatzen wandelte sich der wissenschaftliche Kontext fiir die Auseinandersetzung mit ,,fremdem” Recht vollständig mit der Ablehnung der naturrechtlichen Metaphysik durch den Historismus und später den Positivismus der Rechtsanschauungen im 19. Jahrhundert. Dies öffnete den Weg fiir Entstehen und Entfaltung der einleitend erwähnten Forschungsrichtungen und Fachgebiete: ebenso wie fiir die germanistische Rechtsgeschichte in der Verbindung mit Sprachgeschichte und rechtlicher Volkskunde wie späterhin fur die universalhistorisch-ethnologischen Ansätze bis hin zur ,,ethnologischen Jurisprudenz” des ausgehenden 19. Jahrhunderts und ihren Nachwirkungen im 20. Jahrhundert. Wie sich gezeigt hat, liel^en am Anfang unseres Jahrhunderts wiederum tiefgreifende wissenschaftsgeschichtliche Wandlungen - wie die Einfliisse des Neukantianismus auf die Geschichts-, Rechts- und Sozialwissenschaften und das Vordringen soziologischer Betrachtungsweisen in dcr Rechtswissenschaft — nicht nur die Stellung der Rechtsgeschichte neu iiberdenken. Sie bildeten auch eine Voraussetzung fiir das Entstehen neuer Ansätze rechtsethnologischer Arbeit, die im Verlaufe des 20. Jahrhunderts zudem durch die erweiterten Möglichkeiten der Feldforschung begiinstigt wurde.'" Es war hier weder beabsichtigt noch möghch, das Spektrum dieser neueren rechtsethnologischen Untersuchungen in ganzer Breite zu durchmessen und nach dem Nutzen der jeweiligen Fragestellungen und Ergebnisse in Hinblick auf die Forschungsaufgaben der Germanistik zu fragen. Wenige Beispiele fur mögliche Beriihrungspunkte und Anregnungen muBten geniigen. Dazu gehörte die Frage nach der Rolle von Magie und Totenkult in archaischen RechtsVgl. Reiner Schulze, Der nexus feudalis in Vernunftrecht und Historischer Rechtsschule, z. Veröff. verges, in: ZRG Germ. Abt. 106 (1989). S. oben I. 3., II. 110

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