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156 die Gefahr in sich, die Unterschiede zwischen germanischen und gegenwärtigen Vorstellungen und Normstrukturen einzuebnen. Vom neuzeitlichen Ståndpunkt aus gebraucht kann er beispielsweise den ,,Rechts”anschauungen der germanischen Zeit jene prinzipielle Trennung von Seinsordnung und Sollensordnung unterliegen, die wohl erst im neuzeitlichen Denken hervorgetreten sind.^* Er kann weiterhin die Geschlossenheit und Autonomie eines eigenen rechtlichen Normbereichs suggerieren (selbst wenn der Begriff des Rechtssystems gemieden wird^^), obgleich Recht dieser Art erst das Resultat einer allmählichen Ausdifferenzierung etwa gegeniiber Religion und Moral bis hin zur Moderne ist/° Die Verwendung des Rechtsbegriffs stellt die germanische „Rechts”-geschichte vor die Notwendigkeit, sich mit derartigen Implikationen modernen Rechtsdenkens und mit den Unterschieden gegeniiber den historisch zu erfassenden Verhältnissen weiterhin auseinanderzusetzen. Gerade die Frage nach der Verschiedenheit des zu erforschenden gegeniiber dem uns vertrauten ,,Recht” durchzieht aber auch die Diskussionen um den Rechtsbegriff in der Rechtsethnologie. Ebenso wie in der Rechtsgeschichte fur die älteren Gesellschaften des europäischen Raumes stellt sich die Frage nach Gegenstandsbestimmungen, deren Allgemeinheit nicht aussagelos wird, deren konkrete Ausfiillung sich aber auch nicht als Projektion moderner europäischer Anschauungen in den andersartigen kulturellen Kontext erweist. Unterschiedliche Materialgrundlagen und sozialtheoretische Vorverständnisse haben hier in der Ethnologie zu einer Reihe von Vorschlägen fiir die Ausfullung des Rechtsbegriffs bei seiner Verwendung (auch) fur die fremden Kulturen gefuhrt. So fal^t - um nur drei Beispiele aus der neueren Diskussion zu nennen - Hoebel in einer herkömmlicherweise unter Juristen und in der Staatslehre verbreiteten Perspektive das physische Zwangselement als ,,conditio sine qua non” des Rechtsbegriffs auf. In Anschauung des ethnologischen Materials schwächt er diese Bestimmung aber etwa gegeniiber der Verkniipfung des Rechtsbegriffs mit institutionell oder gar biirokratisch ausgeformter Staatlichkeit ab. Es geniigt ihm fiir die Existenz von Recht bereits die Möglichkeit einer Anwendung physischen Zwangs durch einen dazu von der Gesellschaft ,,Bevollmachtigten”/’ Flexibler sucht Pospisil in seiner „Anthropologie des Rechts” den Rechtsbegriff zu fassen. Die Breite verschiedenartiger Erscheinungsformen von ,,Recht” auf den Feldern ethnologischer (und historischer) Forschung soil bei ihm eine mehrgliedrige und variable Kennzeichnung des Rechts umgreifen. Neben dem Merkmal einer ,,rechtlichen Autorität” (eines Vgl. zu diesemWandel Peterson (Anm. 64). Anders als in den älteren „Systemen des Deutschen Privatrechts”, s. oben II und Anm. 41, 42. Hierzu aus rechtssoziologischer Sicht die evolutionistische Fortentwicklung funktionalistischer Systemtheorie bei N. Luhmann, Evolution des Rechts, in: ders., Ausdifferenzierung des Rechts. Beiträge zur Rechtssoziologie und Rechtstheorie, 1981, S. 1 ff. Vgl. Hoebel, Das Recht... - (Anm. 19).

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