RS 15

150 b. Anstelle des nationalkulturellen Identitäts-Theorems vermag aber auch eine europäische kulturgeschichtliche Perspektive einen spezifischen Zugang zu unserem Forschungsgebiet allenfalls bedingt zu begriinden. Diese Perspektive kann von sehr unterschiedlichen theoretischen Ausgangspunkten her entwickelt werden (etwa als Konzept geistesgeschichtlicher Kontinuität oder sozialgeschichtlicher struktureller longue durée).^'* Auf diesen Grundlagen lassen sich möglicherweise Identitäten der kulturellen Erfahrungshorizonte eines heutigen Forschers und der Menschen imuntersuchten Zeitraum- der Verfasser einer bestimmten historischen Quelle etwa - feststellen. ImRahmen einer hermeneutischen Konzeption der Rechtsgeschichte - wie namentlich bei Gadamer^^ - wiirde sich damit die Möglichkeit eröffnen, den Erfahrungshintergrund des Forschers und die Denkweisen der untersuchten Zeit als Teile eines beide Pole des Erkenntnisvorgangs umfassenden geschichtlichen Entwicklungs- und Erfahrungszusammenhanges zu begreifen und darin eine spezifische Verständnisgrundlage zu sehen. Alle diese Betrachtungsweisen lassen sich aber in ihrer historischen Reichweite kaum auf unser Forschungsgebiet erstrecken. Es kann hier offen bleiben, inwieweit sie im Verhältnis der Möderne zur ,,alteuropäischen” Gesellschaft tragfähig sind. Schon insoweit wird man möglicherweise jene prinzipielle ,,Andersartigkeit” der Denkweisen und Begriffe zugrundelegen miissen, die imAnschlul? an Otto Brunner gegenuber der positivistischen Begriffsprojektion schärfer hervorgetreten ist. Sie wiirde selbst fiir diese Epoche eine kulturgeschichtlich begriindete Identität von Erfahrungshorizonten in enge Grenzen setzen. Erst recht mul5 dies aber fiir das germanische Altertum und Friihmittelalter gelten, am wenigsten eingeschränkt fiir die Zeit vor der Christianisierung und weitgehend noch fiir die Jahrhunderte bis an die Schwelle des hohen Mitschafts-Verhältnis”. Nachweise u.a. bei M. Stolleis, Art. Nationalsozialistisches Recht, in: HRG III, S. 873 ff.; F. Graus, Geschichtsschreibung und Nationalsozialismus, Vjh. f. Zeitgeschichte, Bd. 17, 1969, S. 87 ff. Ersteres häufig zugrundegelegt im Konzept der Neueren Privatrechtsgeschichte, besonders im Anschlufi an F. Wieackers Werk (Anm. 41), 1. Aufl. 1952; enger auf einen juristischen Kulturzusammenhang bezogen unter dem Gedanken des ius commune bei //. Going, Die europäische Privatrechtsgeschichte der neueren Zeit als einheitliches Forschungsgebiet, in: ders. (Hrsg.), Ius Commune, Veröffentlichungen des Max Planck-Instituts fiir Europäische Rechtsgeschichte 1967; fiir die sozialgeschichtliche longue durée vgl. etwa F. Braudel, Geschichte und Sozialwissenschaften. Die longue durée, in: Geschichte und Soziologie (hrsg. von H. U. Wehler), 1972. H. G. Gadamer, Wahrheit und Methode, 4. Aufl. 1975; auf diesen Ansatz beziehen sich in der neueren rechtsgeschichtlichen Literatur sowohl Wteacker (Anm. 41), S. 15 ff. (allerdings die Einwände Bettis aufnehmend) als auch Kroeschell, Haus und Herrschaft (Anm. 47), S. 51. Grundlegend O. Brunner (Anm. 38), S. 111 ff.; ders.. Das Problem einer europäischen Sozialgeschichte (1954), in: ders., Neue Wege der Verfassungs - und Sozialgeschichte, 3. Aufl. 1980, S. 80 ff. - Nicht iiberzeugend in neuer Zeit die Einwände beispielsweise von D. Wyduckel, Ius Publicum, 1984, S. 22 (vgl. Rez. in ZRG Germ. Abt. 104, 1987); Nachweise und Anregungen zum Fortgång der Diskussion bei O. G. Oexle, Sozialgeschichte — Begriffsgeschichte - Wissenschaftsgeschichte, in: Vierteljahresschrift fiir Sozial - und Vi'irtschaftsgeschichte 71 (1984), S. 305 ff.

RkJQdWJsaXNoZXIy MjYyNDk=