148 Sinne gelangte diese Richtung hingegen nicht oder allenfalls in engen Grenzen. Es finden sich kaum „Gegenentwurfe” zu den älteren Konzeptionen des germanischen Rechts, denen unter den veränderten wissenschaftlichen Voraussetzungen ein vergleichbarer Erklärungswert zukäme. Der Grund dafiir liegt nicht etwa in Mängeln der einzelnen Beiträge. Die Ideologiekritik kann vielmehr ihrer Natur nach fiir einen neuen Zugang zur Geschichte lediglich einen ersten Schritt tun: jeweils die bisherige Befangenheit in unbewuftten geistigen Voraussetzungen aufdecken. Die neuen Verständnismittel aufgrund der veränderten Erkenntnismöglichkeiten und Anschauungen zu gestalten, ist nicht ihr Gegenstand. Und auch die wort- und begriffsgeschichtlich ausgerichtete Analyse besitzt nur sehr eingeschränkte „konstruktive” Kraft: Ihr enger Bezug auf die einzelnen schriftlichen Quellenaussagen macht sie zum unentbehrlichen Instrument der Hypothesenbildung und -iiberpriifung, beschränkt aber zugleich ihren Beitrag zur Entwicklung der allgemeinen Erklärungsmodelle. III 1. Wenn auf diesem Hintergrund eine Einbeziehung von Forschungsergebnissen der Rechtsethnologie in der Germanistik zur Diskussion steht, drängt sich sogleich die Frage auf: Begeben wir uns damit nicht auf einen beschwerlichen und unniitzen Umweg durch fremde Kulturlandschaften statt geradewegs auf „unsere” Vergangenheit zuzugehen? Zu bejahen wäre die Frage bei einer verhältnismäfiig geringen „kulturellen Distanz” zwischen den Denkweisen und Lebensformen, mit denen sich unsere historische Forschung befafit, einerseits und unseremeigenen kulturellen Erfahrungshorizont andererseits. Die Rechtsvorstellungen unseres Forschungsgebietes liefien sich unter diesen Voraussetzungen gewissermafien in unmittelbarem Zugriff oder doch mit spezifischen Mitteln einer Verständigung innerhalb des besonderen kulturellen Zusammenhanges, der Gegenwart und zu erforschende Vergangenheit umgreift, erfassen. Die Einbeziehung ethnologischer Arbeiten könnte sogar einen derartigen spezifischen Zugang zur „eigenen” Geschichte versteilen. Im Unterschied zur älteren Tradition der Germanistik läfit sich indes ein derartiger spezifischer Zugang kaum mehr oder allenfalls in sehr engen Grenzen annehmen. Erforderlich erscheint vielmehr ein entschiedener Perspektivenwechsel gegeniiber dieser Tradition: Der Gefahr eines verkiirzten Zugriffs unter kulturhistorischen Identitätspostulaten gilt es den Versuch entgegenzusetzen, das germanische Recht als Teil einer andersartigen Kultur als der eigenen, als Teil insofern einer uns ,,fremden” Kultur zu begreifen. Jedenfalls ist kein historiographisches Konzept (mehr) ersichtlich, das der Gegenposition eine theoretische Grundlage gäbe. Der geschichtstheoretische Hintergrund da-
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