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147 politischen Prämissen des 19. Jahrhunderts in verschiedener Hinsicht offengelegt.'*^ Besonders herausgefordert wurde die Kritik durch Perversionen germanistischer Forschung unter den Vorzeichen des Rassismus imNationalsozialismus. Sie griff aber mit Grund dariiber hinaus und setzte sich mit den älteren Lehren zu Recht nicht allein in Hinblick auf deren spätere rassistische Verformungen auseinander. In der Forschungspraxis ging dieser ideologiekritische Ansatz eine fruchtbare Verbindung insbesondere mit Beiträgen ein, die auf wort- und begriffsgeschichtlicher Grundlage historisch-analytisch vorgingen. Schulbildend wurden in dieser Richtung die Arbeiten von Karl Kroeschell.'^^ Zieht man eine Bilanz des Wandels unter dem Einflufi der neueren Ideologickritik im Verbund mit der wort- und begriffsgeschichtlichen Analyse, so stehen heute nicht mehr nur punktuell Sichtweisen der älteren Germanistik in Frage. Das Fach hat sich tiefergreifend von seinen einstigen Grundlagen gelöst. Auf vielen Gebieten bleibt ihm heute nur der bereits angedeutete Befund, daft die Konturen einst bestechend scharf erschienener Bilder der germanischen Rechtsverhältnisse wieder imNebel historischer Ungewiftheit verschwimmen. 4. Mit demVerlust der friiheren Grundlagen stellt sich die Frage nach neuen Arbeitsansätzen, die aus dem wissenschaftlichen Zusammenhang unserer Zeit heraus den Zugang zur germanischen Geschichte eröffnen. Sie miissen einerseits den (ohnehin sehr begrenzten) Vorrat an Quellen so weit wie auf dem heutigen Stand möglich erschlieften,'** andererseits unter den veränderten wissenschaftlichen Voraussetzungen tragfähige Hypothesen und Erklärungsmodelle iiber Beschaffenheit, Wirkungsweise und Entwicklung von Recht in der germanischen Zeit liefern. Die kritisch-analytischen Arbeiten der letzten Jahrzehnte können in dieser Hinsicht als ein wichtiger Anfang gelten, das methodische Spektrum wird sich jedoch erweitern miissen. Denn als wesentlicher Ertrag der kritisch-analytischen Beiträge läftt sich — zugespitzt — die ,,Destruktion” einer Reihe von Sichtweisen, die aus dem älteren wissenschaftlichen Kontext erwachsen sind, bezeichnen. Zu einer ,,Negation” im dialektischen Vgl. fiir einzelne, sehr unterschiedliche Anshtze innerhalb des Spektrums dieser Kritik etwa die in Anm. 47 genannten Arbeiten Kroeschells; Böckenförde (Anm. 44); D. Grimm, Rechtswissenschaft und Geschichte, in: ders. (Hrsg.), Rechtswissenschaften und Nachbarwissenschaften II, 1976, S. 9 ff.; J. M. Scholz, Histonsche Rechtshistorie, in: ders., Vorstudien zur Rechtshistorik (Jus Commune SH 6), 1977, S. 1 fl.; .Arbeitsgruppe, Kritik der biirgerlichen Rechtsgeschichte, in: Kritischejustiz 1973, S. 109 ff. Insbes. mit den Arbeiten zu Sippe (Anm. 33) und Rechtsbegriff (Anm. 38) sowie ders., Haus und Herrschaft imfriihen deutschen Recht, 1968. Die umfangreichen Arbeiten der älteren Germanistik sowie in neuerer Zeit vor allemvon K. A. Eckhardt machen fiir die schriftlichen Quellen kritische Sichtung und Ergänzung keineswegs entbehrlich. Uberdies gilt es aber insbesondere, auch fiir die Rechtsgeschichte die Fortschritte der Archäologie vermehrt zu nutzen (beispielshaft die siedlungsgeschichtlich-rechtshistorischen Arbeiten K. S. Baders, zu weiteren Möglichkeiten jiingst H. Steuer, Archäologie und die Erforschung der germanistischen Sozialgeschichte des 5.-8. Jhs., in: D. Simon (Hrsg.), Akten des 26. Deutschen Rechtshistorikertages 1986, S. 443 ff.

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