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146 zugeschrieben wurde, gleichwohl aber bald im Gewande des Rechtspositivismus wiedererstand und zu voller Entfaltung gelangte/’ Sie transferierte dabei aus dem Zusammenhang der zeitgenössischen Jurisprudenz nicht nur die Vorstellung von einem geschlossenen Systemdes Rechts auf die germanische Zeit. Dariiber hinaus nahm sie - in einer heute erstaunlich wirkenden Unbefangenheit - weithin gerade das Rechtssystem ihrer Zeit, seine Untergliederungen und Begriffe, fiir das Systemdes germanischen Rechts. Amiras „Nordgermanisches Obligationenrecht” ist kein Einzelfall, sondern zeigt lediglich die gängige Praxis bereits im Titel an. Zugleich ist Amiras wissenschaftliches Werk Beispiel dafur, dafi die Ausrichtung amRechtssystem der eigenen Zeit fortdauerte, obgleich sich die rechtshistorische Forschung bereits in starkem Mafie aus der pragmatischen Arbeit auf das geltende Recht hin gelöst hatte. - Als dritter, Erkenntnisziele und Vorverständnis in der Bliitezeit der Germanistik prägender Faktor (maBgeblich auch fiir die semerzeitige grofie öffentliche Wirksamkeit des Faches) bleiben die nationalliberalen Anschauungen des Vormärz’ und in der Zeit zwischen Revolution und Reichsgriindung zu beriicksichtigen.'*'* Aus ihnen erhielt die Verbindung von Historie und Arbeit am geltenden Recht konkreten Inhalt: Der historische Zugriff auf vermeintlich ,,ursprungliche” Gehalte germanisch-deutschen Rechts schien die Grundlage zu bieten fiir ein ,,Deutsches Privatrecht”, das die zersplitterten Rechte der Einzelstaaten iiberwölbte. Zugleich schienen in der ,,Deutschen Staats- und Rechtsgeschichte” Vorbilder fiir die erstrebte konstitutionelle Monarchie aufzuleuchten und der „organische” Ubergang zu ihr angelegt zu sein. Diese nationalliberal inspirierte rechtshistorische Konzeption wirkte in abgewandelten Formen und zum Teil mit beachtlicher Offenheit fiir die neue ,,soziale Frage” bis weit in das 20. Jahrhundert fort."*^ Sie hatte aber - unbeschadet fortbestehender Traditionsbedeutungen - eigentlich schon mit der Bismarck’schen Reichsgriindung ihre Wirkungskraft fiir die Gestaltung des positiven Rechts verloren und konnte jedenfalls im veränderten wissenschaftlichen und politischen Umfeld des 20. Jahrhunderts nicht bestehen. 3. Während der letzten Jahrzehnte hat eine Reihe ideologiekritischer Beiträge die Verfangenheit germanistischer Forschung mwissenschaftlichen und sozioVgl. hierzu in breiterem Rahmen jvingst P. Cappellini, Systema iuris, Bd. 1, 1984; Bd. 2, 1985; L. Björne, Deutsche Rechtssysteme im 18. und 19. Jahrhundert, 1984 (zur Germanistik insbes. S. 210 ff., 243 ft.). K. V. Amira, Nordgermanisches Obligationenrecht, 1892/96. E. W. Böckenförde, Die Einheit imdeutschen Fruhliberalismus, m: ders. (Hrsg.), Möderne deutsche Verfassungsgeschichte, 2. .\ufl. 1981,S. 27tf. Vornehmlich iiber O. v. Gierke; vgl. G. Dilcher, Wissenschaftstheorie und Sozialrecht: Ein ,,Juristensozialismus” Otto v. Gierkes?, in: Quaderni Fiorentini, 1974/75, S. 319 ff.; ders.. Das Genossenschaftbild der Rechtswissenschaft und die soziale Frage, in: Das wilhelminische Bildungsbiirgertum(Hrsg. K. Vondung), 1976, S. 53 ff. nationaler und konstitutioneller politischer Bewegung von

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